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Die Hassliste: Roman (German Edition)

Die Hassliste: Roman (German Edition)

Titel: Die Hassliste: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Brown
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eine plumpe Kommode mit offenen Schubladen, aus denen Klamotten quollen, auch obendrauf lag jede Menge Krempel.
    »Ist das dein Zimmer?«, fragte ich.
    »Jep. Willst du fernsehgucken? Ich hab auch ’ne Playstation.«
    Als ich mich neben ihm auf dem Bett niederließ, entdeckte ich eine Plastikbox zwischen seinem Bett und der Wand, vollgepackt mit Büchern. Ich kroch über die Matratze und nahm eins davon in die Hand.
    »Othello«
, las ich vor. »Liest du Shakespeare?«
    Er warf mir einen kurzen Blick zu, der wirkte, als wäre er auf der Hut vor irgendwas. Er antwortete mir nicht.
    Ich nahm noch eins von den Büchern.
»Macbeth.«
Und zwei andere. »
Shakespeares Sonette
.
Unterwegs zu Shakespeare.
Was ist das für Zeug?«
    »Ach, nichts«, sagte er. »Hier.« Er warf mir den Joystick für seine Playstation zu.
    Ich ignorierte ihn und wühlte weiter in der Kiste rum. »
Ein Sommernachtstraum. Romeo und Julia. Hamlet.
Das ist doch alles von Shakespeare.«
    »Das da mag ich besonders«, sagte er leise und deutete auf das Buch in meiner Hand.
»Hamlet.«
    Ich sah mir das Cover genauer an, schlug das Buch zufällig irgendwo auf und las laut:
    »O schwere Tat! So wär’ es uns geschehn,
    Wenn wir daselbst gestanden: Seine Freiheit
    Droht aller Welt, Euch selbst, uns, jedem andern.«
    »Ach! wer steht ein für diese blut’ge Tat?«
, zitierte Nick auswendig die nächste Zeile, bevor ich sie lesen konnte.
    Ich lehnte mich zurück und sah ihn über das Buch hinweg an. »Du liest dieses Zeug?«
    Er zuckte mit den Achseln. »Ist doch nichts dabei.«
    »Meinst du das ernst? Das ist cool. Du hast das alles im Kopf, das ist doch total irre. Ich kapier nicht mal, was es heißen soll.«
    »Na ja, man muss halt Bescheid wissen, was in der Geschichte passiert, dann versteht man’s schon«, sagte er.
    »Erzähl’s mir«, sagte ich.
    Er guckte mich unsicher an, holte tief Luft und begann zögernd zu sprechen. Seine Stimme wurde nach und nach lebhafter, als er mir von Hamlet und Claudius und Ophelia erzählte, von Mord und Verrat. Von Hamlets Zögern, seiner verhängnisvollsten Schwäche. Davon, wie er die Frau, die er liebt, übelst beschimpft. Und während er mir die Geschichte erzählte und dabei Stellen über das Wesen des Göttlichen zitierte, als hätte er sie selbst geschrieben, da wusste ich es. Ich wusste, dass ich mich in ihn verliebte, in diesen Jungen mit seinen schäbigen Klamotten und der negativen Lebenseinstellung, in diesen Jungen, der so schüchtern lächeln und Shakespeare zitieren konnte.
    »Wie bist du da drangekommen?«, fragte ich. »Du hast hier ja echt jede Menge Bücher.«
    Nick senkte den Kopf. Er erzählte mir, wie er mit dem Lesen angefangen hatte, als seine Mutter sich von seinem zweiten Vater scheiden ließ. Damals war sie auf der Suche nach Männern durch die Bars gezogen und hatte ihnviel allein gelassen. An diesen langen Abenden allein zu Hause hatte er nichts weiter zu tun gehabt. Weil sich seine Mutter oft genug nicht mal die Mühe machte, die Stromrechnung zu bezahlen, war ihm gar nichts anderes übrig geblieben, als bei Kerzenlicht zu lesen. Seine Großmutter hatte ihm immer Bücher gebracht und er hatte sie oft noch am gleichen Tag verschlungen. Er las einfach alles –
Star Wars
,
Der Herr der Ringe
,
Artemis Fowl
,
Das große Spiel
und andere Science-Fiction-Romane.
    »Und dann hat Louis – das ist mein Vater Nummer drei   –«, erzählte Nick weiter, »irgendwann ein Buch angeschleppt, das er auf dem Flohmarkt gefunden hatte. Es sollte ein Witz sein.« Nick nahm mir
Hamlet
aus den Fingern und wedelte damit herum. »Wär doch was, wenn du das lesen würdest, du kleiner Klugscheißer«, ahmte er die kratzige Stimme seines Stiefvaters nach. »Er hat gelacht, als er das gesagt hat. Fand sich wahnsinnig komisch. Und meine Mom hat mitgelacht.«
    »Also hast du’s gelesen, um es ihnen zu zeigen«, sagte ich und blätterte
Othello
durch.
    »Am Anfang schon«, sagte er. Er lehnte sich dicht neben mir gegen die Wand und linste über meine Schulter auf die Seiten, die ich umblätterte. Es gefiel mir, die Wärme seines Körpers zu spüren. »Aber dann hab ich’s irgendwann wirklich gut gefunden, weißt du? Ein bisschen wie wenn man ein Puzzle zusammensetzt oder so. Außerdem fand ich’s echt witzig, wie blöd Louis war: Schenkt mir ein Buch, in dem der Stiefvater der Oberschurke ist, und merkt’s nicht mal.« Er schüttelte den Kopf. »Hornochse.«
    »Dann hat dir also deine Großmutter die

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