Die Hassliste: Roman (German Edition)
kippte ohne Ende irgendwelche Gefühle über mich aus. Im einen Moment weinte sie still in ein zerknäultes Taschentuch hinein, schüttelte traurig den Kopf und nannte mich Liebling, im nächsten Augenblick war sie eine Furie mit hochrotem Gesicht und vorgestülpten Lippen, die mich mit Vorwürfen überschüttete und andauernd wiederholte, sie könnte es nicht fassen, dass sie so ein Monster zur Welt gebracht hatte.
Ich hatte keine Antwort für sie. Ich hatte für niemanden eine Antwort. Als Frankie mir gesagt hatte, dass Nick tot war, dass er sich selbst eine Kugel in den Kopf gejagthatte, krümmte ich mich zusammen wie eine Schnecke, auf die man Salz gestreut hat. Drehte mich auf die Seite und krümmte mich zusammen, zog die Knie zur Brust, so gut das eben ging mit dem Hämmern in meinem Oberschenkel und dem Verband und den Schläuchen und Drähten, die mich ans Bett fesselten. Ich krümmte mich zu einer Kugel zusammen, und als sich mein Körper schließlich so weit gekrümmt hatte, wie es beim besten Willen möglich war, machte meine Seele weiter. Ich krümmte mich, krümmte mich, krümmte mich zusammen, wurde zu etwas Festem, Gewundenem, Kleinwinzigem.
Ich habe nie den Entschluss gefasst, nicht mehr zu sprechen oder so. Ich hatte bloß keine Ahnung, was ich sagen könnte. Jedes Mal, wenn ich den Mund aufmachte, wollte ich nur schreien vor Entsetzen. In meinem Kopf sah ich andauernd Nick, der tot irgendwo lag. Ich wollte zu seiner Beerdigung. Oder zumindest an sein Grab. Aber vor allem wollte ich ihn küssen und ihm sagen, dass ich ihm den Schuss auf mich verziehen hatte.
Doch ich wollte auch schreien vor Entsetzen wegen dem, was mit Mr Kline passiert war. Wegen Abby Dempsey und all den andern, die erschossen worden waren. Sogar wegen Christy Bruter. Wegen meiner Mutter. Und Frankie. Und auch wegen mir selbst, ja, das auch. Aber diese Gefühle fügten sich nicht richtig zusammen. Es war wie bei einem Puzzle, bei dem zwei Teile beinah, aber eben nur beinah zusammenpassen – es macht einen ganz verrückt, dass sich die Teile, obwohl sie so nah dran sind, doch nicht richtig aneinanderfügen lassen. Also macht man sie mit Gewalt passend, aber sogar nachdem man das geschafft hat, stimmt das Bild nicht richtig, sie sehen einfachverkehrt aus. So fühlte sich mein Gehirn an. Als würde ich lauter Puzzleteile herumschieben, die einfach nicht zusammenpassten.
Doch dann, am dritten Tag, ging die Zimmertür auf. Ich starrte gerade an die Decke und dachte an den Tag, an dem Nick und ich uns im
Laserdrom
gegenseitig gejagt hatten. Ich hatte die meisten Treffer gehabt und das Spiel gewonnen, worüber sich Nick zuerst total geärgert hatte, aber hinterher sind wir zu einer Party bei Mason gegangen und Nick hat allen erzählt, wie super ich zielen könnte. Er war wahnsinnig stolz auf mich und ich habe mich richtig gut gefühlt. Den Rest des Abends haben wir Händchen gehalten und uns gegenseitig angehimmelt und es war so ziemlich der beste Abend in meinem ganzen Leben.
Als ich hörte, wie die Tür aufging, machte ich schnell die Augen zu, denn egal wer da kam, er sollte denken, dass ich schlief, und gleich wieder verschwinden, damit ich weiter an diesen Abend denken konnte. Ich schwöre, dass sich meine Hand in diesem Moment so warm anfühlte, als läge die von Nick darin.
Ich hörte Schritte, die über den Boden tappten und neben meinem Bett haltmachten. Aber die Infusionsschläuche bewegten sich nicht. Ich hörte auch nicht, wie Schubladen oder Schrankfächer geöffnet wurden, was normalerweise passierte, wenn eine von den Schwestern ins Zimmer kam. Auch von Moms verräterischem Schnüffeln mit verstopfter Nase war nichts zu vernehmen. Und das Parfüm von Frankie roch ich auch nicht. Da war nur die stille Gegenwart von irgendwem neben mir. Ich öffnete ein Auge.
Ein Typ in einem braunen Anzug stand neben meinemBett. Er war wohl so um die vierzig und hatte eine Glatze. Es war nicht die Art von Glatze, wo jemandem die Haare einfach komplett ausgefallen sind, sondern die Art von Glatze, wo einer schon so viele Haare verloren hat, dass er sich mit dem Rest nicht mehr abgibt und sich einfach kahl rasiert. Der Typ kaute Kaugummi. Er lächelte nicht.
Ich öffnete beide Augen, setzte mich aber nicht auf. Ich sagte auch nichts. Ich sah ihn nur an, mit hämmerndem Herz.
»Wie geht’s deinem Bein, Valerie?«, fragte er. »Ist doch okay, wenn ich Du sage, oder?«
Ich kniff die Augen zusammen und sah ihn an, gab aber keine
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