Die Hassliste: Roman (German Edition)
es einfach nicht begriffen.
»Sie meinen wegen diesen Mails? Das hab ich nicht so gemeint. Es war bloß so eine Art
Romeo und Julia -Ge rede
. Das war alles Nicks Ding. Nicht meins.«
Er redete einfach weiter, als hätte ich überhaupt nichts gesagt. »Und wir sind alle davon überzeugt, dass es notwendig ist, an dieser kritischen Stelle optimal für deine Sicherheit zu sorgen. Die beste Vorgehensweise dabei ist deine Aufnahme in ein stationäres Programm, das dir helfen wird, deine Suizidabsichten zu bekämpfen, und zwar durch Gruppentherapie, Einzeltherapie und zeitweise auch mit Medikamenten.«
Ich schnappte mir meine Krücken und hievte mich auf die Beine. »Nein. Mom, du weißt, dass ich das nicht brauche. Sag ihm, dass ich das nicht nötig habe.«
»Es ist zu deinem Besten, Valerie«, sagte Mom und sah jetzt endlich von ihren Schuhen hoch. Mir fiel auf, dass sie die Finger um den Griff des Koffers klammerte. »Und es dauert ja nicht lange. Ein paar Wochen nur.«
»Valerie«, sagte Dr. Dentley. »Valerie, wir können dir helfen. Wir können dir geben, was du brauchst.«
»Hören Sie endlich auf, dauernd meinen Namen zu sagen.« Meine Stimme wurde laut. »Ich brauch nur eins, nämlich mein Zuhause. Irgendwelche Absichten kann ich da auch bekämpfen.«
Dr. Dentley lehnte sich vor und drückte auf den Rufknopf. Eine Schwester eilte herbei und nahm den Koffer, dann blieb sie an der Tür stehen. Auch Mom stand auf und bewegte sich Richtung Bad, um nicht im Weg zu stehen.
»Wir verlegen dich nur hoch in den vierten Stock, in die psychiatrische Abteilung, Valerie«, sagte Dr. Dentley mit beherrschter Stimme. »Bitte setz dich wieder. Wir bringen dich im Rollstuhl nach oben. Das ist bequemer für dich.«
»Nein!«, sagte ich, und an der Art, wie Mom kurz die Augen schloss, konnte ich ablesen, dass ich geschrien haben musste, auch wenn ich es selbst gar nicht merkte. Ich dachte nur noch an den Medienkundekurs in der Zehnten, wo wir den Film
Einer flog über das Kuckucksnest
gesehen hatten. An Jack Nicholson, wie er die Schwester anbrüllt, dass sie endlich den Fernseher anstellen soll, an diesen unheimlichen Indianer mit dem leeren Gesicht und den übereifrigen kleinen Typen mit der Brille. Und ich überlegte sogar – das war der blödeste Gedanken von allen –, dass sich in der Schule alle über mich lustig machen würden, wenn sie mitkriegten, dass ich in die Psychiatrie gesteckt worden war. Das wäre ein gefundenes Fressen für Christy Bruter. Und die ganze Zeit über dachte ich: Die müssen mich tot dort hochschaffen, freiwillig geh ich da nie im Leben hin.
Dr. Dentley hatte offenbar den gleichen Gedanken, denn als ich zu brüllen begann: »Nein! Ich geh da nicht hin! Nein! Verschwinden Sie!«, verzog sich sein freundlicher Gesichtsausdruck und er nickte der Schwester zu, die daraufhin aus dem Zimmer eilte.
Einen Augenblick später kamen zwei große Krankenpfleger herein und Dr. Dentley sagte: »Achten Sie auf ihren linken Oberschenkel«, dann beugten sich die beiden Pfleger über mich und hielten mich fest, während die Schwester mit einer Spritze auf mich zukam. Instinktiv ließ ich mich zurück in meinen Rollstuhl fallen. Meine Krücken knallten auf den Boden. Mom bückte sich und hob sie auf.
Ich schlug wild um mich, so gut das eben möglich war mit gefühlten tausend Kilo auf mir drauf, und schrie so laut, wie meine Stimme es hergab. Ich brüllte dermaßen, dass mir manche meiner Worte schon wieder still vorkamen, ich schleuderte sie mit einer solchen Wucht in die Welt hinaus, dass ich die Vorstellung hatte, in irgendwelchen fernen Ländern würden exotisch aussehende Menschen sie wie Gegenstände aus dem Staub auflesen. Einer der Pfleger lockerte seinen Griff, um meinen Arm besser packen zu können, was mir genug Bewegungsfreiheit verschaffte, um ihn zu treten. Ich trat mit aller Macht zu und erwischte ihn voll am Schienbein. Obwohl er die Zähne zusammenbiss, entfuhr ihm ein tiefes Stöhnen und sein Gesicht war plötzlich ganz dicht an meinem, als wollte er mich küssen, aber trotzdem half mir die Aktion nichts. Ich war festgenagelt. Die Schwester schlüpfte hinter mich und ich setzte das einzige Körperteil ein, über das ich noch verfügen konnte – nämlich meine Lungen –, während sie die Nadel durch einen Zwischenraum am Rollstuhl in meine freigelegte Hüfte stieß.
Innerhalb von Sekunden half mir mein Körper überhaupt nicht mehr dabei, mich gegen mein Schicksal zu
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