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Die Hassliste: Roman (German Edition)

Die Hassliste: Roman (German Edition)

Titel: Die Hassliste: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Brown
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ich vorbeikam. Wahrscheinlich glotzten sie mich gar nicht wirklich an, aber mir kam es trotzdem so vor. Als wüsste jeder in der Welt, wer ich war und warum ich hier gewesen war. Als würde mich jeder in der Welt mustern und sich fragen, ob das, was er gehört hatte, wohl stimmte. Und ob es nicht eine grausame Laune Gottes gewesen war, mich überleben zu lassen.
    Mom hatte das Auto direkt vor dem Eingang geparkt und kam mit Krücken in der Hand auf mich zu. Ich nahm sie, manövrierte mich zum Auto und ließ mich hineinsinken, ohne ein Wort mit ihr oder der Krankenschwester zu reden, die Mom am Klinikeingang noch Anweisungen gab.
    Schweigend fuhren wir nach Hause. Mom stellte das Radio auf einen Easy-Listening-Sender. Ich machte das Fenster einen Spaltbreit auf, schloss die Augen und sog die Luft ein. Sie roch irgendwie anders, als würde ihr etwas fehlen. Ich fragte mich, was ich wohl tun würde, wenn ich nach Hause kam.
    Als ich die Eingangstür öffnete, sah ich als Erstes Frankie, der sich vor dem Fernseher auf dem Boden lümmelte.
    »Hey, Val«, sagte er und setzte sich auf. »Du bist wieder zu Hause.«
    »Hey. Super, deine Haare. Sind echt wahnsinnig lang heute, deine Stacheln.«
    Er grinste und strich sich mit der Hand über die Haare. »Hat Tina auch gesagt«, meinte er. Als ob überhaupt nichts passiert wäre. Als ob ich nicht noch nach Krankenhaus riechen würde. Als ob ich keine selbstmordgefährdete Verrückte wäre, deren Heimkehr ihm auch sein eigenes Leben vermiesen würde.
    In diesem Moment war Frankie der beste Bruder, den sich irgendwer in der Welt hätte wünschen können.

 
    Dr.   Hielers Praxis war gemütlich und hätte auch zu einem Gelehrten gepasst – eine Insel von Büchern und sanfter Rockmusik in einem Meer von anstaltsmäßiger Nüchternheit. Seine Sekretärin, eine gelassene junge Frau mit dunkler Haut und langen Fingernägeln, die sich knapp und professionell gab, führte mich und Mom aus dem Wartezimmer zum Allerheiligsten, als wären wir hier, um besonders seltene Diamanten zu kaufen. Sie brachte mir eine Cola und Mom eine Flasche Wasser, dann deutete sie armwedelnd auf eine offene Bürotür. Wir traten ein.
    Dr.   Hieler kam hinter seinem Schreibtisch hervor, nahm dabei seine Brille ab und schenkte uns ein Lächeln mit geschlossenen Lippen, das seine Augen traurig wirken ließ. Aber vielleicht waren seine Augen sowieso immer traurig. Wenn ich mir den ganzen Tag lang irgendwelche Geschichten über Elend und seelische Verletzungen anhören müsste, würden meine Augen wahrscheinlich auch traurig aussehen.
    »Hi«, sagte er und hielt Mom seine Hand entgegen. »Ich bin Rex.«
    Mom streckte den Arm aus und wirkte dabei viel zu steif und zu förmlich. »Guten Tag, Dr.   Hieler«, sagte sie. »Ich bin Jenny Leftman. Das hier ist meine Tochter Valerie.« Sie wandte sich zurück und berührte mich leicht an der Schulter, um mich ein wenig nach vorne zu schieben. »Dr.   Dentley aus dem Kreiskrankenhaus hat uns hierher überwiesen.«
    Dr.   Hieler nickte, er wusste das alles und ihm war auch klar, was als Nächstes aus Moms Mund kommen würde. »Valerie geht auf die Garvin-Highschool. Oder vielmehr ging sie dorthin«, berichtigte sie. Vergangenheitsform.
    Dr.   Hieler ließ sich in einen dick gepolsterten Sessel sinken und bedeutete uns, dass wir auf dem Sofa direkt gegenüber von ihm Platz nehmen sollten. Ich plumpste hinein und sah Mom dabei zu, wie sie sich mit steifem Rücken ganz vorne auf die Kante setzte, als hätte sie Angst, sich schmutzig zu machen. Auf einmal fand ich alles, was Mom sagte oder tat, peinlich, ärgerlich, frustrierend. Ich hätte sie am liebsten aus dem Raum geschubst. Noch lieber hätte ich mich weggeschubst.
    »Wie gesagt«, fuhr Mom fort, »Valerie war dabei, als der Amoklauf passiert ist.«
    Dr.   Hielers Augen wanderten zu mir, aber er sagte kein Wort.
    »Sie, nun ja, sie kannte den jungen Mann im Mittelpunkt von alldem«, schloss Mom. Ich konnte das auf einmal alles nicht mehr ertragen, diese ganze falsche Tour.
    »Kannte«
, fauchte ich. »Er war mein Freund, Mom. Himmel noch mal!«
    Einen Moment lang war es still und Mom rang sichtbar um ihre Fassung. (Allzu sichtbar für mein Gefühl, es kam mir so vor, als täte sie es in erster Linie für Dr.   Hieler – sie wollte ihm zeigen, mit was für einer grässlichen Tochter sie gestraft war.)
    »Das tut mir sehr leid«, sagte Dr.   Hieler ganz leise und zuerst glaubte ich, er spräche mit Mom. Doch als

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