Die Hassliste: Roman (German Edition)
so leise, wie sie gekommen war.
Später saß ich mit einer Dose Cola auf den Knien in Dr. Hielers Büro und schilderte ihm die ganze seltsame Szene.
»Mit Jessica Campbell da zu sitzen, auf meinem Bett, das war total schräg. Ich weiß nicht, ich hab … mich irgendwie nackt gefühlt, so mit ihr zusammen in meinem Zimmer. Als ob alles, was sie sieht, total privat wäre. Das hat mich nervös gemacht.«
Er kratzte sich am Ohr und grinste. »Gut.«
»Was soll daran gut sein, dass ich nervös war?«
»Es war gut, dass du damit klargekommen bist.«
Dass ich sie nicht einfach rausgeworfen hatte – das war es, was er meinte.
Stattdessen war Jessica einfach gegangen. Nachdem sie weg war, hatte ich die Musik lauter gedreht und mich auf meinem Bett ausgestreckt. Ich hatte mich auf die Seite gedreht und die Pferde auf meiner Tapete angestarrt. Eins von ihnen schien ein klein wenig zu schimmern – je länger ich es anblickte, desto mehr bekam ich das Gefühl, es wollte wegrennen.
[Aus der Garvin County Sun-Tribune, 3. Mai 2008, von Angela Dash]
Katie Renfro, 15 – Renfro, die in der ersten Oberschulklasse war, wurde Opfer des Amokläufers, obwohl sie sich gar nicht in der Cafeteria aufhielt. »Katie war nach einem Besuch im Sekretariat nur dort vorbeigelaufen«, berichtete Beratungslehrerin Adriana Tate der Presse. »Sie kannte Nick Levil nicht mal, jedenfalls nicht, dass ich wüsste«, fügte sie hinzu.
Renfro, deren Verletzungen nicht lebensbedrohlich waren, wurde von einem Querschläger am Oberarm getroffen, der von einer Schließfachreihe bei der Cafeteria abgeprallt sein musste.
»Es hat nicht sehr wehgetan«, sagte die Schülerin. »Es fühlte sich mehr wie ein Stich an. Ich hab erst gar nicht gemerkt, dass er mich getroffen hat, bis ich draußen war und einer von den Feuerwehrleuten gesagt hat, dass mir Blut den Arm runterläuft. Da bin ich auf einmal durchgedreht. Aber ich glaube, hauptsächlich bin ich durchgedreht, weil alle andern auch durchgedreht sind, verstehen Sie?«
Die Eltern des Mädchens haben nach eigener Aussage nun die Entscheidung getroffen, Katie in Zukunft nicht mehr auf eine öffentliche Schule gehen zu lassen.
»Das war uns auf der Stelle klar«, sagte Vic Renfro. »Es hat uns schon öfter besorgt gestimmt, dass Katie eine öffentliche Schule besucht. Jetzt machen wir Nägel mit Köpfen.«
»Man weiß bei den öffentlichen nie«, fügte Katies Mutter, Kimber Renfro, hinzu, »mit wem das eigene Kind zur Schule geht. Die lassen jeden da rein. Auch die Verhaltensgestörten. Wir wollen nicht, dass unsere Tochter mit Leuten zusammen ist, die gestört sind.«
***
»Sie macht so ein Riesentheater darum«, sagte ich. Ich lief hektisch hin und her, was ich in Dr. Hielers Büro sonst nie tat. Allerdings stand ich dort normalerweise auch nicht unter Moms Röntgenblick, der in der letzten Zeit jeden Tag schlimmer geworden war. Statt mir nach und nach mehr zu vertrauen, kriegte Mom es allen Ernstes fertig, mir gerade im Gegenteil immer weniger zu vertrauen. Als hätte sie Angst, dass ich gleich wieder in einen Amoklauf verwickelt würde, wenn sie mich kurz aus den Augen verlor, und sei es nur für Sekunden.
»Daraus kannst du mir ja wohl kaum einen Vorwurf machen«, sagte Mom schniefend und tupfte sich die Nase mit einem zusammengeknäulten Papiertaschentuch, dassie aus ihrer Manteltasche hervorgekramt hatte. »Es fällt mir wirklich schwer zu glauben, dass sie jetzt ausgerechnet mit diesen Leuten zusammen sein will und dass die sich allen Ernstes mit ihr abgeben wollen. Und dann dieses Projekt, ein Mahnmal? Das kann doch nicht gesund für sie sein, sich immer weiter mit dieser Sache zu beschäftigen. Sie sollte jetzt nach vorne gucken, oder etwa nicht?«
»Zum letzten Mal, Mom, ich will doch gar nicht mit denen zusammen sein, als wären wir Freunde oder so. Ich mach bei einem Projekt mit und fertig. Einem Schulprojekt. Ich hab gedacht, du willst, dass ich wieder mitmache bei solchen Schulsachen. Nach vorne gucken, genau das mach ich doch!«
Mom schüttelte den Kopf. »Vor zwei Tagen hat sie sich noch mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, überhaupt zurück in die Schule zu gehen. Und jetzt will sie gleich bei einem Schulprojekt mitmachen, und zwar ausgerechnet mit den Leuten, die auf dieser Liste gestanden haben«, sagte sie zu Dr. Hieler. »Das wirkt doch irgendwie verdächtig, oder? Da ist doch was faul.«
Jetzt richtete ich mich an Dr. Hieler. »Sie hat
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