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Die Hassliste: Roman (German Edition)

Die Hassliste: Roman (German Edition)

Titel: Die Hassliste: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Brown
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zurückzukommen und ihn sich zu holen.
    War es wirklich erst ein Jahr her, dass wir in der Aula gesessen und den Kandidaten für den Schülerrat bei ihren Wahlreden zugehört hatten? Dass Nick und ich mit unseren jeweiligen Kursen dort hereinmarschiert waren und von der anderen Seite des Raumes sofort nacheinander Ausschau gehalten hatten? Dass wir die Augen verdreht hatten, als die Schülerratskandidaten einer nach dem anderen die Bühne betraten, und uns mit Gesten gezeigt hatten, was wir nicht laut aussprechen konnten?
    »Wen hast du heute in der Schulversammlung gewählt?«, hatte ich ihn gefragt, als wir abends zusammen waren. Er lag mit nacktem Oberkörper neben mir in demZelt, das wir auf der Wiese hinter seinem Haus aufgestellt hatten. Seit sich das Wetter geändert hatte, waren wir jeden Abend in diesem Zelt gewesen, es war unser Zufluchtsort, an dem wir allein sein und einander vorlesen konnten und miteinander über das sprachen, was uns wichtig war.
    Er schaltete seine Taschenlampe an und richtete sie auf das Zeltdach. Die Silhouette einer Spinne tanzte in dem Lichtstrahl, sie zappelte sich ab, um hoch an die Spitze des Zeltes zu kommen. Ich überlegte, was sie wohl tun wollte, wenn sie erst oben war. Oder war das einfach die Art, wie Spinnen ihr Leben verbrachten – sich abzappeln, bis man irgendwo oben angekommen ist, und das war schon alles?
    »Gar keinen«, antwortete Nick mürrisch. »Wozu denn? Ist mir doch egal, wer da gewinnt.«
    »Ich hab
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auf den Zettel geschrieben«, sagte ich. Wir lachten beide. »Hoffentlich wird Jessica Campbell nicht Schülersprecherin.«
    »Na klar wird sie das«, sagte er. Er knipste die Lampe wieder aus und auf einmal war es total finster im Zelt. Ich sah überhaupt nichts mehr – nur die Wärme, die von Nicks Körper ausging, verriet mir, dass ich nicht allein war. Ich reckte mich in meinem Schlafsack und kratzte mich mit dem Zeh vom andern Fuß am Unterschenkel. Auf einmal war ich mir sicher, dass die Schattenspinne jetzt, wo ich sie nicht mehr sehen konnte, garantiert überall auf mir herumkrabbeln würde – ihre nächste Eroberung wäre ich.
    »Glaubst du, unser Abschlussjahr wird anders?«, fragte ich.
    »So nach dem Motto, wenn wir Jessica Campbell wählen, nennt sie dich nicht mehr Todesschwester und Chris Summers hört auf, ein Arschloch zu sein?«, fragte er zurück. »Nein, das glaube ich nicht.«
    Danach schwiegen wir beide und hörten den Fröschen draußen vor unserm Zelt zu, die bei einem Tümpel links von uns ein Konzert veranstalteten.
    »Da müssten wir uns selbst drum kümmern«, hatte er ganz leise hinzugefügt.
    Mir wurde schwindelig, als ich jetzt im Korridor vor der Tür des Schülerrats stand, und ich lehnte meine Stirn gegen die kühle Backsteinwand. Ich würde ein paarmal tief durchatmen und dann wieder verschwinden. Ich konnte das hier nicht durchziehen. Auf gar keinen Fall. Leute waren gestorben, die Situation war derart verfahren, dass nichts auf der Welt sie retten konnte.
    Jemand musste mich gesehen haben. Die Tür ging auf.
    »Hey«, sagte eine Stimme. »Schön, dass du gekommen bist.«
    Ich blickte hoch. Jessica stand in der Tür. Sie signalisierte mir, ich solle hereinkommen. Mein Körper schaltete auf Autopilot und ich folgte ihr.
    Alle Blicke lagen auf mir. Man könnte sagen, nicht alle diese Gesichter schauten freundlich, aber das wäre krass untertrieben. Kein einziges tat das. Nicht mal das von Jessica. Ihr Gesichtsausdruck war sachlich, fast geschäftsmäßig – mit dem gleichen Blick hätte sie auch einen Gefangenen in die Todeszelle führen können.
    Meghan Norris glotzte mich mit leicht gesenkten Lidern und gespitzten Lippen an, ihre Knie wippten unter dem Tisch ungeduldig auf und ab. Als ich ihren Blick erwiderte,verdrehte sie die Augen und sah aus dem Fenster hinaus.
    »Okay«, sagte Jessica und nahm wieder Platz. Ich setzte mich neben sie und hielt meine Bücher dabei eng an mich gepresst. Ich hatte das Gefühl, jeden Moment in Ohnmacht zu fallen. Ich atmete tief ein, hielt zehn Sekunden lang die Luft an und atmete dann ganz langsam wieder aus, so lautlos, wie ich nur konnte. »Okay«, wiederholte sie. Sie sortierte die Blätter in ihrer Hand, ganz die Geschäftsfrau. »Ich habe mit Mr Angerson geredet. Wir bekommen in jedem Fall einen Platz in der nordwestlichen Ecke vom Schulhof, direkt neben den Türen zur Cafeteria. Wir können dort alles aufstellen, was wir wollen, solange wir die Zustimmung vom

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