Die Hebamme von Venedig
am Milchfieber starben.
»Es tut mir so leid, Euer Hochwohlgeboren. Ihr müsst Eure Frau sehr lieben, um mich hier im Ghetto aufzusuchen.«
»Ihre Schreie haben mich aus dem Haus getrieben. Ich ertrage es nicht länger. Sie bittet Gott, ihrem Elend ein Ende zu setzen.«
»Viele schwere Geburten gehen gut aus, selbst noch nach Tagen«, sagte Hannah. »So Gott will, übersteht sie es und schenkt Euch einen gesunden Sohn.«
»Es ist der natürliche Verlauf der Welt«, sagte der Rabbi. »Heißt es nicht im Buch Genesis: ›Mit Schmerzen sollst du Kinder gebären‹?« Er wandte sich an Hannah. »Ich habe bereits gesagt, dass du ablehnen musst, aber der Conte wollte es von dir persönlich hören.« Er öffnete den Mund, um fortzufahren, doch der Conte bedeutete ihm mit einer Geste, zu schweigen, und zu Hannahs Überraschung gehorchte der Rabbi.
»Frauen sprechen unter sich über vieles«, sagte der Conte. »Meine Frau Lucia hält viel von ihr, Hannah, sie meint, obwohl sie jung ist, sei sie die beste Hebamme Venedigs, unter Christen und Juden. Es heißt, sie beherrsche es, selbst sture Kinder aus den Bäuchen ihrer Mütter auf die Welt zu holen.«
»Glaubt nicht alles, was Ihr hört«, sagte Hannah. »Auch ein blindes Huhn findet hin und wieder ein Korn.« Sie sah, wie er nervös die großen Hände verschränkt hielt, damit sie nicht zitterten. »Es gibt christliche Hebammen, die ebenso viel zu tun vermögen.«
Aber er hatte recht. Es gab keine andere Levatrice in der Stadt, die so geschickt und begabt war wie sie. Die Babys kamen schneller zur Welt und die Mütter erholten sich eher, wenn Hannah bei der Niederkunft half. Nur der Rabbi kannte den Grund, und sie konnte ihm vertrauen, dass er Schweigen darüber bewahrte; er wusste, wenn jemand ihr Geheimnis entdeckte, würde sie als Hexe gebrandmarkt und gefoltert werden.
»Jetzt habt Ihr es aus ihrem eigenen Mund gehört«, sagte der Rabbi. »Lasst uns gehen. Sie kann Euch nicht helfen.« Er nickte Hannah kurz zu und wandte sich zum Gehen. »Es tut mir leid, dass wir dich gestört haben. Geh wieder schlafen.«
Jacopo schlug die Hände gegeneinander, als wären sie mit Schmutz bedeckt, erhob sich von seinem Hocker und trat zur Tür. »Gehen wir, mio fratello .«
Aber der Conte wollte noch nicht aufgeben. »Ich würde Lucias Schmerzen auf mich nehmen, wenn ich könnte. Ich würde mein Blut geben, um ihres zu ersetzen, das Blut, das, während wir hier reden, auf den Boden ihres Schlafzimmers rinnt.«
Hannahs Augen waren auf einer Höhe mit den Knöpfen seines Mantels. Er wankte vor Müdigkeit, und sie wich einen Schritt zurück, aus Angst, er könne auf sie stürzen.
Sie senkte die Stimme und fragte den Rabbi auf Jiddisch: »Ist es undenkbar, dass ich gehe? Jüdische Ärzte kümmern sich immer wieder um Christen, obwohl es ihnen verboten ist. Christen, die einen Einlauf brauchen oder zur Ader gelassen werden müssen, missachten den Erlass des Papstes. Immer wieder werden jüdische Ärzte gerufen und schleichen an schlafenden Pförtnern vorbei. Man sagt, selbst der Doge habe einen jüdischen Arzt …«
»Solcherlei Duldung würde einer Frau nie gewährt werden«, antwortete der Rabbi. »Wenn ein christliches Baby, was Gott verhüten möge, bei der Geburt stirbt und eine jüdische Hebamme war dabei zugegen, würde ihr die Schuld gegeben werden, und zusammen mit ihr dem ganzen jüdischen Ghetto.« Der Rabbi wandte sich an den Conte und sagte jetzt wieder auf Venezianisch: »Es gibt viele christliche Hebammen in Venedig, und eine von ihnen wird sich bestimmt geehrt fühlen, helfen zu dürfen.«
Im schwachen Licht des Zimmers sah Paolo di Padovani leichenblass aus. »Sie ist meine einzige Hoffnung, Hannah«, sagte er mit leiser Stimme. »Es heißt, sie hat magische Kräfte.« Er ergriff Hannahs Hände und umschloss sie fest. Seine eigenen Hände waren kalt, die Haut weich wie Ziegenleder. Ihre waren rau von Laugenseife und hartem Quellwasser. »Ist das wahr?«
Verlegen und erschrocken entzog Hannah sich der Berührung.
Der Rabbi beugte sich zu ihr hin und sagte auf Jiddisch: »Ist es das, was du willst, Hannahle?« Er benutzte ihren Kindernamen. »Dass man deinen Körper eines Nachts in den Teil der Lagune wirft, in dem nicht gefischt werden und dessen Wasser nicht benutzt werden darf?«
Eine kluge Frau hätte darauf nicht geantwortet, aber Hannah konnte ihre Zunge nicht bezähmen. »Ist das Leiden einer Christin etwas anderes als das Leiden einer Jüdin?«
»Sag
Weitere Kostenlose Bücher