Die Hebamme von Venedig
das ist unsere Hebamme Hannah. Sei sie gesegnet vor allen anderen Frauen.« Der Rabbi verneigte sich. »Hannah, das ist der Conte Paolo di Padovani mit seinem Bruder Jacopo. Möge Gott, der Fels, sie schützen und ihnen ein langes Leben gewähren. Der Conte bestand darauf, mit dir zu sprechen. Er bittet um unsere Hilfe.«
Unsere Hilfe?, dachte Hannah. Hielt sie Predigten? Brachte der Rabbi Babys zur Welt?
»Aber wie ich dem Conte bereits erklärt habe«, fuhr der Rabbi fort, »ist das, worum er bittet, nicht möglich. Eine jüdische Hebamme darf christlichen Frauen nicht bei der Geburt helfen.«
Erst letzten Sonntag hatte Fra Bartolomeo, der Dominikanerpriester, auf der Piazza San Marco gegen Christen gewettert, die sich von Juden medizinisch behandeln ließen, »von den Gegnern des Kreuzes«, wie er die Juden nannte.
Der Conte versuchte den Rabbi zu unterbrechen, aber der hob den Finger. »Ihr wollt den päpstlichen Dispens anführen? Der gilt nicht für eine einfache Hebamme wie Hannah.«
Endlich einmal schien der Rabbi auf Hannahs Seite zu stehen. Wie sie wollte er die Bitte des Conte abweisen.
Paolo di Padovani schien in seinen Fünfzigern zu sein, wenigstens zweimal so alt wie Hannah. Müdigkeit wohnte in seinen hohlen Wangen und ließ ihn fast so alt wirken wie den Rabbi. Sein Bruder war vielleicht zehn Jahre jünger, aber schlaff und längst nicht so gut gebaut, mit hängenden Schultern und einer schmalen Brust. Der Conte nickte ihr zu und schob sich am Rabbi vorbei ins Zimmer, wobei er den Kopf einzog, um nicht gegen die schräge Decke zu stoßen. Er war von stattlicher Statur, wie es Christen oft waren, und hatte vom vielen Fleisch, das sie aßen, eine rötliche Gesichtsfarbe. Hannah gab sich Mühe, ihren Atem zu beruhigen.
»Es ist mir eine Ehre«, sagte der Conte und nahm den schwarzen Hut ab. Seine Stimme war tief und angenehm, und er sprach das typische zischende Venezianisch.
Jacopo, sein Bruder, war makellos zurechtgemacht, seine runden Wangen waren wohl gepudert und seine Hose ohne einen Sprenkel Schmutz. Er trat wachsam ein und stellte dabei bedächtig einen Fuß vor den anderen, als rechnete er damit, dass der knarzende Boden unter ihm nachgebe. Er verbeugte sich halb vor Hannah.
Der Conte öffnete den Mantel und sah sich in ihrem Loghetto um, sah das einfache Bett, die fleckigen Wände, den Kieferntisch und die Menora. Der Kerzenstummel in der Ecke flackerte und warf wilde Schatten auf die Wände des kleinen Zimmers. Er war eindeutig noch nie in solch einer bescheidenen Wohnstätte gewesen, und seiner steifen Haltung nach zu urteilen und der Art, wie er sich von den Wänden fernzuhalten versuchte, fühlte er sich unwohl hier drinnen.
»Was führt Euch her?«, fragte Hannah, obwohl sie es nur zu gut wusste. Der Rabbi hätte den Conte nicht zu ihr bringen dürfen. Er hätte ihn überreden müssen, wieder zu gehen. Sie konnte nichts für die beiden tun.
»Meine Frau liegt in den Wehen«, sagte der Conte und verlagerte sein Gewicht von einem Bein aufs andere. Sein Mund war angespannt, die Lippen bildeten eine schmale Linie.
Sein Bruder Jacopo zog mit dem Fuß einen Hocker heran, wischte mit einem Taschentuch darüber und setzte sich, eine Hinterbacke frei in der Luft balancierend.
Der Conte blieb stehen. »Bitte, Hannah, sie muss meiner Frau helfen.«
Hannah war es immer schon schwergefallen, jemandem ihre Hilfe zu verweigern, ob es nun ein verletzter Vogel oder eine gebärende Frau war. »Es kommt mir wie ein großes Unrecht vor, Euch zurückzuweisen, Euer Hochwohlgeboren.« Hannah warf einen Blick auf den Rabbi. »Wenn das Gesetz es erlaubte, würde ich gerne helfen, aber wie der Rabbi sagt, darf ich es nicht.«
Die Augen des Conte waren blau und faltenumkränzt, seine Schultern breit und der Rücken aufrecht. Wie sehr sich seine Erscheinung doch von den buckligen, blassen Männern des Ghettos unterschied, die sich über gebrauchte Kleider, Edelsteine und die Thora gebeugt hielten.
»Seit zwei Tagen und Nächten liegt meine Frau in den Wehen. Die Betttücher sind blutgetränkt, aber das Kind will und will nicht geboren werden.« Er machte eine hilflose Geste mit der Hand. »Ich weiß nicht, an wen ich mich sonst wenden soll.«
In seinem Gesicht spiegelten sich die Qualen seiner Frau, und Hannah verspürte eine Welle des Mitleids. Sie hatte Erfahrung mit schwierigen Niederkünften. Stunden des Schmerzes. Kindern, die mit den Schultern voran herausdrängten. Totgeburten. Müttern, die
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