Die Heidehexe - Historischer Roman
Isabella raubte sie ihnen unter dem Bauch weg.
Draußen erblickte sie die beiden Ziegen des Nachbarn Paul Gebhard, einem der Henkersknechte. Mit einem langen Strick an die Steinbuche gebunden, grasten sie friedlich vor sich hin. Bis zum Bersten gefüllte Euter forderten geradezu auf, gemolken zu werden.
Im Sauseschritt rannte Isabella in die Küche und kam mit zwei Eimern zurück. Leise schlich sie sich an die Tiere, die durch lautes Meckern ihren Unmut bekundeten. „Rasch, Kinder“, befahl das Mädchen.
Mehr brauchte sie nicht zu sagen. Wie selbst verständlich hielten einige den aufgeregten Ziegen die Beine fest, damit sie nicht getreten wurden, andere packten deren Hörner, um nicht aufgespießt zu werden und pressten ihnen die Mäuler zusammen. Kein Laut war mehr zu hören. Jeder Handgriff schien schon etliche Male zum Einsatz gelangt, denn die Not im Hause des Abdeckers nahm kein Ende. Isabella kauerte sich nacheinander unter beide Geißen, melkte die Euter bis zum letzten Tropfen leer.
Sie reichte Hanna , der Ältesten, die Eimer mit der schäumenden Milch, da der Henkersknecht nahte, der trotz aller Vorsichtsmaßnahmen aufmerksam geworden war. Hanna floh mit den Geschwistern ins Haus.
„Hab ich dich, kleine Diebin.“ Paul Gebhard schnappte Isabella bei den purpurroten Haaren und schaute ihr in die Augen. Geheimnisvoll leuchteten sie im Licht der aufgehenden Sonne. Blau, wie die letzten Schimmer der enteilenden Nacht. Keck saß die Stupsnase im gebräunten Gesicht, und der Kirschenmund bat zerknirscht um Verzeihung.
Sein Bl ick fiel auf Isabellas graues Leinenkleid, das über den prallen Brüsten spannte. Jede Bewegung des Mädchens versprach, den Stoff zu sprengen und die volle Pracht nackt zu präsentieren. Eine schmale Taille, wohlgeformte Hüften sowie elfenhafte Arme und Beine bildeten einen verheißungsvollen Kontrast dazu.
Der K necht bekam weiche Knie, liebte er die schöne Jungfrau doch, seitdem er denken konnte. Als Kinder hatten sie oft zusammen gespielt. Jetzt war er achtzehn und, genau wie sein Vater und bereits dessen Vater, ausgebildeter Henker. In ein paar Jahren würde er in Vaters Fußstapfen treten, selbst der Herr über Leben und Tod sein.
Welche Maid gibt sich mit einem Burschen ab, der solch abscheulichem Beru f nachgeht, sinnierte er oft, durften Henkerskinder ohnehin nur untereinander heiraten. Seltene Ausnahmen waren Hochzeiten mit anderen aus der Gesellschaft Ausgestoßenen, zu denen auch Töchter von Abdeckern gehörten. Sie galten ebenfalls als unrein, hausten wie Bader, Gaukler, Leineweber und Hebammen außerhalb der Stadtmauern.
Musste er dennoch einmal das Dorf aufsuchen, war er verpflichtet, sich durch auffällige Kleidung als Henker kenntlich zu machen, damit ihm jeder aus dem Wege gehen konnte.
S ein Aussehen konnte die Verachtung, die er von den Bewohnern des Dorfes zu spüren bekam, nicht wettmachen. Alles an ihm schien kindlich und unfertig. Pummelige Wangen glänzten rosig unter gritzegrauen Augen, deren schwere Lider kaum anzuheben waren. Die Knollennase passte nicht zum Mund, der einem lippenlosen Strich glich. Sein Körper unförmig, noch im Wachstum begriffen. Aber Kraft besaß er. Arme und Beine ähnelten wahren Muskelpaketen. Irgendwann würde er gar nicht mal schlecht aussehen. Im Moment half ihm das wenig.
„Was kann ich tun, damit du mir nicht mehr böse bist ?“, fragte Isabella, die sich ihrer Wirkung auf den Jüngling bewusst war.
„Gib mir einen Kuss. Nur einen klitzekleinen.“
Isabella lachte so laut, dass sämtliche Nachbarn die Köpfe aus den Türen steckten.
„ Aber sonst geht’s dir gut, Paule, was? Ein hoher Preis für ein paar Liter Ziegenmilch“, prustete sie schließlich los. „Meinst du nicht, dass ein Kuss von mir mehr wert ist?“
„Doch“, sagte der Henker und senkte den Kopf. Das Mädchen drehte sich um, immer noch kichernd , und machte Anstalten, sich zu entfernen.
Paul hielt sie im Nacken an den hüftlangen Locken fest , presste seinen Mund auf ihren.
Isabella schrie entrüstet auf, klatschte ihm mit der flachen Hand ins Gesicht, dass alle fünf Finger sich dort abzeichneten, und er sie vor Schreck losließ. Das Mädchen stob davon.
„Das war’s mir wert“, rief Paul ihr nach. „Jetzt sind wir quitt.“
Hubert Geroll stürmte wutschnaubend aus der Tür. „Warte, Bursche, dir werd ich’s geben. Meine Ziehtochter unsittlich zu berühren. Missratener Hundesohn.“
Der Henkersknecht grinste breit und
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