Die Heidehexe - Historischer Roman
Gesicht.
„Womöglich bist du doch eine Hexe“, ulkte er.
„Wer weiß?“
„Es wäre mir egal, denn ich liebe dich seit Kindheitstagen. Konnte dich nicht vergessen in all den Jahren. Vermochte keine andere auch nur anzuschauen, ohne dein liebliches Bild sofort vor Augen zu haben. Wenn das keine Hexerei ist …“
„Wer weiß?“, antwortete sie erneut.
„Hör mit dem Schabernack auf. Mir ist es nämlich völlig ernst. Hast du von den Behauptungen der Alten gehört, dass eine Jungfer den Mann irgendwann heiratet, der sie als Erster geküsst hat?“
Isabella nickte. Paul räusperte sich, nestelte verlegen am Taschentuch herum, nahm seinen ganzen Mut zusammen und stammelte: „Willst du … meine Frau … werden?“
Eine Antwort blieb sie ihm schuldig , denn die Sonne strahlte just hinter den Wolken auf und ein schillernder Regenbogen zeichnete sich am Himmelszelt ab. Er funkelte in allen Farben, so klar und deutlich, wie beide noch keinen erblickt hatten. Isabella erinnerte sich an jenen Regenbogen, den sie mit Victor am Tag ihrer Versöhnung bewundert hatte und rief spontan: „Wer einen Regenbogen sieht, darf sich etwas wünschen. Und am Ende des Regenbogens ist ein riesiger Schatz verborgen.“
Aber Paul war nicht Victor. Hatte keinen Sinn für R omantik. Pragmatisch erläuterte er: „Kleines Dummchen. Der Regenbogen ist nur eine Sinnestäuschung. Nichts weiter. Wenn nach einem Regenschauer die Sonne auf die Tropfenwand fällt, bricht sich ihr Licht darin und wird zurückgeworfen. Weil es in unterschiedlichen Wellenlängen auf die runden Tropfen trifft, sehen wir den kreisförmigen, bunten Regenbogen. Natürlich könnte ich dir alles genauer erklären, aber das verstehst du doch nicht.“
„Was du alles weißt“, sagte Isabella und dachte bei sich, das fängt ja gut an. Ich bin kein Dummchen. Nur weil niemand den Zauber hinter den Dingen sieht, heißt es nicht, dass er nicht da ist. Hat schon jemand den Christengott oder die germanischen Götter gesehen? Nein. Und dennoch lenken sie unser Geschick.
Paul vermochte keine Gedanken zu lesen, freute sich vielmehr über das Lob, und seine Pupillen leuchteten mit dem Regenbogen um die Wette. Er zog sie an sich und küsste sie wie einst, als er das Mädchen beim Stibitzen der Ziegenmilch erwischt hatte. Doch diesmal erwiderte Isabella seinen Kuss.
„Du hast meine Frage nicht beantwortet“, drängte Paul. Sie blickte zum Firmament, wo der Regenbogen in unveränderten Märchenfarben prangte, zwinkerte dem Himmelsgebilde mit einem Auge zu und rief: „Du bist bloß Blendwerk. Genau wie Balder und Skögull wohl ebenfalls Sinnestäuschungen sind. Ich aber bin ein Menschenkind. Gehöre in keine Scheinwelt!“
„Was soll das, Isabella? Rede nicht solchen Unsinn“, hörte sie ein Knarzen und spürte, dass sie ins Ohrläppchen gezwickt wurde.
„Aua. Wer bist du denn?“, fragte sie verblüfft und sta rrte den Vogel an, der im kunterbunten Gefieder munter um sie herumhüpfte.
„Erkennst du deinen Pavor nicht?“
„Oh, mein lieber Freund Pavor. Ich dachte, du seiest tot. Bleibst du jetzt bei mir?“
Er schüttelte den Kopf. „Muss weiter, immer weiter. S oll dir nur gute Wünsche überbringen.“
„Von wem?“
„Isabella, das weißt du selbst.“
„Stimmt. Danke, Pavor. Grüß mir meine Lieben.“
„Wird gemacht.“ Der Vogel erhob sich in die Lüfte.
„ Warte. Sag mir, warum du nicht mehr schwarz bist?“
„Raben sind immer schwarz. Und ich bin einer.“ Er blickte an s ich hinunter, zupfte sich eine rotblaue Feder aus und krächzte fröhlich: „Ach so, deshalb fragst du. Keine Bange. Das wäscht sich wieder ab. Habe nur einen kurzen Zwischenstopp eingelegt und auf dem Regenbogen gesessen. Grässlich, dass er so abfärbt. Lebewohl, Isabella!“
„Bis bald, Pavor!“
„Was war das für ein sonderbares Tier? Mir kam es vor, als könnte es sprechen.“ Paul schaute dem Raben verwundert nach.
„Jenes Tier nennt sich Trugbild.“
„Mitunter redest du recht wirres Zeug“ bemerkte Pau l, „aber das macht nichts. Vielleicht liebe ich dich gerade deshalb. Jetzt sag mir endlich, ob du meine Frau wirst.“
Isabella kuschelte sich an ihn und antwortete: „Ja, das werde ich. Versprochen. Nur gib mir bitte noch etwas Zeit. Ich werde dich dann heiraten, wenn mein Herz nicht mehr weint.“
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