Die Heilerin des Kaisers
verwehrte es ihm nicht.
»Mein einziger Trost, edle Frau, ist, dass wir uns in Rom wiedersehen werden anlässlich des wunderbaren Ereignisses der Krönung unseres Herrn.«
Auch die Heilerin war froh über die Aussicht einer erneuten Begegnung mit dem Grafen. Sie hatte ihn anlässlich der Feierlichkeit heimlich auf seine Manieren hin beobachtet. Hätte er die bisher leider noch immer üblichen ungehobelten Sitten vieler adliger Herren an den Tag gelegt, wäre er für Griseldis nicht in Frage gekommen.
Die männliche Ritterlichkeit war immer häufiger Thema in Dichtung und Liedkunst. Sie war ein Ideal, an dem vor allem die Damen festhielten. Ohne Umschweife forderten sie sie ein und unterstützten damit die höfische Kultur, die insbesondere aus Frankreich und speziell aus Burgund die wichtigsten Anstöße erhielt.
Man bohrte während eines Gesprächs oder bei Tisch nicht mehr in der Nase, schnäuzte sich nicht mit den Fingern und auch nicht mehr ins Tischtuch. Feine Herren unterließen es, mit ihren Messern zwischen den Zähnen zu stochern und putzten sich mit einer Serviette den Mund ab, ehe sie abwechselnd mit ihrer Tischdame aus dem Weinglas und dem Metbecher tranken; auf der Tafel stand nämlich jeweils nur ein Trinkgefäß für zwei Personen, meist für den Herrn und die Dame.
Der Mann von Welt unterdrückte auch das ungenierte Furzen, zumindest das laute, und ebenso das Rülpsen. Zum Glück war es mittlerweile selbstverständlich, dass man sich vor einer Mahlzeit, die überwiegend mit den Fingern verzehrt wurde, die Hände in den Waschschüsseln reinigte, die den Gästen von den Dienern samt Handtuch zum Abtrocknen gereicht wurden.
Griseldis hatte nach langer Zeit wieder einmal ein festliches Mahl genossen. Vor allem hatte ihr die Aufmerksamkeit ihres gebildeten, gut aussehenden Tischherrn mit den tadellosen Manieren gutgetan. Viel zu lange war es schon her gewesen, dass ein Mann sie bedient hatte. Der Duft der vielen hundert Kerzen aus süß riechendem Bienenwachs sowie die leise Musik im Hintergrund der Halle trugen dazu bei, die Heilerin des Königs zu verzaubern; wie oft hatte sie schon unter großer Einsamkeit gelitten…
Nach dem Mahl hatte die Königin wie üblich die Reste in Körben einsammeln und an die Armen vor dem Tor verteilen lassen. Griseldis war auch dem Alkoholgenuss des Grafen gegenüber aufmerksam gewesen: Galt es doch neuerdings als ausgesprochen unhöfisch, sich unmäßig zu betrinken. Niemand lachte mehr darüber, wenn sich am Tisch jemand übergab, weil er zu gierig gewesen war.
Rüdiger von Lanzheims Betragen war über jede Kritik erhaben, stellte Griseldis zufrieden fest.
Im Süden Frankreichs war der Begriff des »Minnedienstes« aufgekommen; vereinzelt hörte man auch in deutschen Landen davon. Soweit die junge Frau wusste, verstand man darunter die Bereitschaft eines Ritters, einer Dame zur Hand zu gehen und ihr zu dienen, wobei damit nicht nur gemeint war, dass er ihr bei Tische die besten Bissen in den Mund schob – das war selbstverständlich.
Nein, der höfische Mann, der Kavalier, wie der Ritter jetzt auch genannt wurde, widmete seine Siege im Turnierspiel sowie seine Heldentaten in der Schlacht der auserwählten Dame. Und wer von den Edelleuten keine Liebste besaß, schenkte seine Erfolge einfach der Königin.
Griseldis malte sich aus, wie schön es sein müsste, wenn der Herr von Lanzheim »ihr« Held wäre…
Der König allerdings hatte sich noch eine ganz besondere Überraschung für den Edelmann ausgedacht. Herr Heinrich erhob sich und augenblicklich trat Stille im Saal ein. Er wandte sich an den Grafen und versicherte ihn seiner ganz besonderen Gunst. Dazu zeichnete er ihn überdies mit einem kostbaren Geschenk aus: einer aus purem Gold getriebenen und mit Juwelen verzierten Schatulle, in welcher ihr Besitzer die wichtigsten Papiere und Urkunden verwahren konnte.
Wie Griseldis erst jetzt erfuhr, hatte Herr Rüdiger mit seinen Mannen das militärische »Unternehmen Mithras« geleitet und erfolgreich zu Ende gebracht. Die vagen Angaben der Heilerin bezüglich der Lage der Höhle und ihrem Aussehen war ihm dabei äußerst hilfreich gewesen.
Alle Anhänger des verbotenen Kultes waren ohne größere Gegenwehr in die Hände der gräflichen Reiterei gefallen und hatten ihr Leben unter wuchtigen Schwertstreichen beendet – mit Ausnahme des Obersten Priesters: Timotheus war es gelungen, sich der irdischen Gerechtigkeit durch die Einnahme von Gift zu
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