Die Heilerin des Kaisers
von selbst zurück: die grobe Behandlung, ihre Fesselung und Knebelung, ihre verbundenen Augen, die Höhle, der Altar mit dem abgeschlagenen Stierkopf, die in Weiß gekleideten Priester und – Timotheus. Zuletzt hatte er sie genötigt, etwas zu sich zu nehmen…
Fieberhaft überdachte sie ihr Verhalten. Sie musste unbedingt so tun, als fiele sie auf die Worte ihrer Dienerin herein – ansonsten war ihr Leben keinen Pfifferling mehr wert. Unbedingt hatte sie ihr Glauben zu schenken, dass sie nur ohnmächtig gewesen sei und in ihrer Ohnmacht einen seltsamen Traum gehabt habe.
Griseldis war überrascht, von den Anhängern dieses heidnischen Kultes, der in deutschen Landen streng verboten war, nicht umgebracht worden zu sein. Der verabreichte Trank zusammen mit der Hypnose durch den Oberpriester hatten ihr vorgaukeln sollen, sie wäre in tiefe Bewusstlosigkeit gefallen und hätte das Ganze bloß geträumt. Auch die Worte ihrer Magd sollten sie darin bestärken.
Verblüfft war die Heilerin von der Tatsache, dass Timotheus es überhaupt geschafft hatte, sie zu hypnotisieren. Er musste mit enorm starken Kräften ausgerüstet sein. Niemandem war es bisher gelungen, Griseldis’ Willen auszuschalten.
›Beinahe wäre ich auch darauf hereingefallen‹, dachte sie betroffen, ›wenn sich beim Erwachen nicht noch der Alabasterbecher in meiner Hand befunden hätte.‹ Ganz fest hatten ihre Finger das kleine Gefäß noch umklammert gehalten.
Unauffällig ließ Griseldis das verräterische Ding, das den Betäubungstrank enthalten hatte, in einer Tasche ihres Gewandes verschwinden.
›Mein schreckliches Erlebnis ist also wahr gewesen und keineswegs meiner Einbildung während einer Ohnmacht entsprungen.‹
Der Stand der Sonne bestärkte Griseldis zusätzlich, dass seit Beginn des Überfalls etwa fünf Stunden vergangen sein mussten. Entschlossen richtete die Heilerin sich auf und klopfte sich den Staub vom Gewand.
»Lasst uns umgehend aufbrechen«, rief sie ihrem begleitenden Trupp zu, der sich auf wundersame Weise wieder eingefunden hatte.
»Ich habe meinen Schwächeanfall überwunden und will die Edelfrau in ihren Kindsnöten nun nicht länger warten lassen«, sagte sie und schwang sich auf ihr Pferd.
Nach der Entbindung wollte sie umgehend nach Bamberg zurückreiten, um dem König von der drohenden Gefahr zu berichten. Seine Feinde würden versuchen, eine andere Person zu finden, die den Mord an ihm begehen könnte. Sie war überzeugt davon, dass diese Höhle in dem Waldstück zu finden sein musste, und Heinrich würde nicht zögern, seine Gegner auszuschalten…
›Warum aber haben mich die Mithrasjünger bloß am Leben gelassen?‹, überlegte sie ratlos. ›Es bedeutet doch eine Gefahr für sie, mich nicht beseitigt zu haben.‹
Offenbar hatten sie an ihr kein weiteres Interesse – es kam ihnen nur auf den König an. Bei den Anhängern dieses Kults schien eine gewisse Weltfremdheit mitzuspielen – außerdem besaßen sie die trügerische Gewissheit, die Heilerin könne sich an nichts mehr erinnern.
Sie warf einen Blick auf ihre Magd. Schade, Radegund hatte ihr bisher immer gut gedient. Aber Griseldis würde keinen Augenblick zögern, sie für ihren Herrn zu opfern.
KAPITEL 72
W IEDER EINMAL GAB das königliche Paar ein großes Fest in der mit prächtigen Wandteppichen und gewaltigen eisernen Kandelabern mit großen Wachskerzen ausgestatteten Hofhaltung zu Bamberg. Dazu waren die Fenster-und Türbögen mit Kränzen aus Tannengrün geschmückt, auf den Truhen und auf der riesigen Tafel prangten Gestecke aus leuchtend bunten Herbstblumen, Stechpalmenzweigen und Silberdisteln.
Das Jahr 1013 war weit fortgeschritten – man befand sich bereits in der ersten Oktoberwoche. Nach dem Mahl teilte der König seinen Getreuen mit, dass die Verhandlungen mit dem Heiligen Vater, Heinrichs Wahl zum Kaiser betreffend, erfolgreich verlaufen seien. Im zeitigen Frühjahr würde der Hof sich nach Rom aufmachen.
Jubel brandete auf während der Rede Herrn Heinrichs. »Vivat, Henricus Rex!« und »Vivat, Regina Kunigunda!« war zu hören. Jeder der Anwesenden hoffte, bei dem grandiosen Spektakel dabei sein zu dürfen.
Griseldis konnte von einer Teilnahme an der Kaiserkrönung ausgehen – das hatte ihr Vater Berchtold bereits verraten. Der alte Mönch selbst würde um die Erlaubnis des Herrschers allerdings ringen müssen: Heinrich und seine Gemahlin waren in Sorge wegen seines Alters und seines labilen
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