Die Heilerin des Kaisers
Verlass. Herr von Liebenzell jedenfalls war sich dem Vernehmen nach sehr dumm vorgekommen, als er bemerkt hatte, dass die Base der Königin ihn nur wie alle anderen Männer vor ihm benützt hatte. Aber jetzt war Irmintraut tot. Zu ihrem eigenen Erstaunen hatte die Heilerin über deren Ableben keinerlei Genugtuung empfunden; höchstens Erleichterung angesichts der Gewissheit, dass diese wahrhaft böse Frau weder ihr noch sonst jemandem jemals wieder Schaden zufügen konnte – vor allem nicht der Königin.
Nun, es würde sich zeigen, aus welchem Holz Rüdiger von Lanzheim geschnitzt war. Aber nun musste sie überlegen, wie es weitergehen sollte. In einigen Tagen, spätestens in einer Woche, könnte sie wieder ein Pferd besteigen und sich auf den Weg machen. Sollte sie wirklich zum Kloster auf dem Monte Cassino? Zum Studium war es viel zu spät; es war bereits Ende Januar, ihre Erkrankung hatte sie über ein Vierteljahr gekostet.
Bald würde der König sich auf den Weg über die Alpen machen, um in Rom einzuziehen. War es nicht besser, so schnell wie möglich den Rückweg anzutreten, um mit Herrn Heinrich und Frau Kunigunde und dem gesamten Hofstaat die Romreise zur Krönung zu unternehmen?
Auch ihr sehnlicher Wunsch, Herrn Rüdiger wiederzusehen, spielte bei ihren Überlegungen eine nicht unbedeutende Rolle.
Ihren Studienaufenthalt konnte sie im Anschluss an die Feierlichkeiten aufnehmen – und zwar so lange, wie sie es für nötig hielt. Und die Rückkehr nach Bamberg? Nun, Händler und Kaufleute waren sowohl in Italien wie in Deutschland ständig mit ihren Warenzügen unterwegs. Sich einer solchen, immer schwer bewaffneten Gruppe anzuschließen, wäre ein Leichtes.
KAPITEL 74
A M NÄCHSTEN T AG war im Nonnenkloster ein Greis angekommen, der um Aufnahme bei den frommen Frauen und im Besonderen um Griseldis’ Hilfe bat.
»Ihr seid eine berühmte Heilerin, so jedenfalls hat man mir in dem Kloster berichtet, in dem ich bis jetzt gewesen bin«, sagte der schwache, weißhaarige Mann in dem braunen Umhang, der wie sein Besitzer auch schon bessere Zeiten gesehen hatte. »Ich bitte Euch inständig, nehmt Euch meiner an. Und wenn Ihr mich wieder gesund macht, werde ich Euch reich belohnen, Herrin«, versprach der Alte.
Die Heilerin sah dem Fremden lange in die Augen; plötzlich wurde sie von einer Art Hellsichtigkeit überwältigt. Hinter dem geschwächten Mann erblickte sie eine graue Gestalt und sie wusste, dies war der Todesengel. Kurz bevor Jakobäa gestorben war, hatte er am Fußende des Lagers der Magd gestanden. Damals hatte sie geglaubt, ihr eigener schlechter Gesundheitszustand habe ihr einen Streich gespielt und ihr das Ganze im Fieberwahn nur vorgegaukelt… Nun aber sah sie die todbringende Gestalt bei hellem Tage und in guter Verfassung. Der gesichtslose, unbewegliche Engel ließ sie frösteln.
»Sagt mir die Wahrheit, junge Frau, schont mich nicht«, bat der Greis, der sich nun zu erkennen gab. Die Heilerin schaute ihm wiederum eindringlich in die Augen, die tief in seinem mageren, vom Alter braunfleckigen Antlitz flackerten, und zugleich in sein banges Herz. Sie beschloss, ihn nicht zu belügen – auch nicht aus Barmherzigkeit.
»Eure Zeit auf Erden ist beinahe abgelaufen. Nützt den Rest noch gut, um Euch auf die Ewigkeit vorzubereiten, Herr Arduin«, sagte sie ihm dann.
Erst wollte der Alte aufbrausen. Dann aber fasste sich der ehemalige Gegenkönig Heinrichs, wie wenn er beschlossen hätte, sich klaglos in sein Schicksal zu fügen. Er hatte gespürt, dass die Heilerin die Wahrheit gesprochen hatte. Er wollte bis zuletzt im Kloster Sant’ Ambrogio bleiben und dort seine zahlreichen Untaten bereuen, zu denen auch der Mord an einem Bischof gehörte.
Nach wenigen Tagen starb er friedlich in seinem Bett, bis zum Ende betreut von Griseldis, die es sich nach ihrer Gesundung zur Aufgabe gemacht hatte, die frommen Frauen bei der Krankenpflege zu entlasten.
Die graue Gestalt aber hatte Griseldis nicht mehr gesehen und allmählich war sie geneigt, dieses schaurige Erlebnis doch als Halluzination zu deuten. Sie bedauerte es sehr, dass sie niemanden hatte, mit dem sie darüber hätte sprechen können. Sie vermisste Vater Berchtold und auch Vater Odo und konnte ihre Heimkehr an den königlichen Hof kaum noch erwarten.
Einen großen Teil der Zeit ihrer Genesung hatte sie in der Klosterkapelle verbracht, um zu meditieren. Das Beten fiel Griseldis schwer – sie war es von Kindheit an nicht sehr
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