Die Heilerin des Kaisers
durchsetzen zu wollen. An Intelligenz und Bildung konnte sie es sicher mit ihrem Gemahl aufnehmen, sie sah jedoch dank ihrer Kirchenhörigkeit ihre Stellung nur als beratende und unterstützende an.
Um die Regierung kümmerte sie sich nur in Ausnahmefällen, wenn Herr Heinrich sich außer Landes aufhielt. Dann hielt sie die Zügel in der Hand – gemeinsam mit dem Kanzler.
Im Geiste sah Griseldis das Antlitz des Kaisers vor sich: gealtert durch jahrzehntelanges körperliches Leiden, die unablässige Sorge um das Reich sowie durch eine weitgehend asketische Lebensweise.
Tiefe Furchen durchzogen mittlerweile das markante Gesicht und sein immer noch dichtes Haar war inzwischen mehr grau als braun. Aber Heinrichs Haltung war noch jugendlich straff, er war nach wie vor ein hervorragender und ausdauernder Reiter. Vor allem aber strahlten seine Augen noch ebenso intelligent, lebhaft und humorvoll, wie sie es getan hatten, als sie ihn das erste Mal als jungen Herzog erlebt hatte.
›Seit damals liebe ich ihn‹, dachte die Heilerin, deren eigenes Leben so eng mit dem seinen verflochten war. Sie war glücklich, dass es ihr erlaubt gewesen war, ihn so oft von seinen Schmerzen zu befreien.
›Ohne mich und meine Heilkraft hätte der arme Mann noch viel mehr gelitten. HERRGOTT, ich danke dir dafür, dass du mich mit diesen Händen gesegnet hast.‹
Während sie in die Flammen der Kerzen starrte, zogen im Geiste die langen Jahre an ihr vorüber, die sie an Heinrichs Seite, oder vielmehr in seiner Nähe, verbracht hatte. Alles in allem waren es gute Jahre gewesen. Mit Unbehagen erinnerte sie sich an die vergangene Nacht, als der Schlaf sie geflohen hatte.
Allzu vieles war ihr durch den Kopf gegangen. Unausgesprochene Gedanken, weil sie diese selbst als »ungehörig« stigmatisierte, hatten ihr Herz und Gemüt beschwert. Sie hatte sich den drängenden Fragen nicht länger mehr verschließen können: Welcher Art war eigentliche ihre Liebe zu Heinrich, zu jenem Mann, den sie als eine der ganz wenigen nicht nur als den strahlenden Herrscher, sondern auch mit all seinen Schwächen kannte, seiner Verzagtheit und der Angst vor der Zukunft?
Zwar war sie niemals die Frau seines Herzens geworden, aber seine vertraute Begleiterin durch lange Jahre war sie durchaus gewesen…
Begehrte sie ihn auch als Mann? Wäre sie gerne seine Geliebte geworden?
Hatte sie Kunigunde je beneidet um die ausschließliche Zuneigung des Herrschers? Was wäre geschehen, falls Heinrich sie zu seiner Mätresse hätte machen wollen? Hätte sie ihm widerstanden – oder wäre sie ihrem hochgestellten Patienten bereitwillig in die Arme gesunken?
Letzte Nacht hatte sie darauf keine Antwort gefunden. Und jetzt?
›Lieber GOTT, ich weiß es wirklich nicht‹, gestand sie sich leise ein, den Blick auf den Altar gerichtet, auf dem die Madonnenstatue mit dem Kind auf dem Arm sanft lächelnd auf sie herniederschaute. ›Aber ich will mich nicht besser machen, als ich bin. Wahrscheinlich wäre ich seiner Liebenswürdigkeit erlegen, trotz meiner großen Zuneigung und Ehrerbietung gegen die Kaiserin – und trotz meiner Liebe zu Meister Konrad.‹
Natürlich hätte sie gerne Kunigundes Platz an Heinrichs Seite eingenommen. War sie jetzt etwa genauso schlecht wie Frau Irmintraut es gewesen war?
Nein! Ihr Inneres empörte sich. Das war sie mit Gewissheit nicht. Niemals wäre sie im Stande gewesen, aus verschmähter Liebe Heinrich oder seiner Gemahlin ein Leid zuzufügen, wie Kunigundes Base es über Jahre hinweg getan hatte.
Dann erwachte ein neuer Gedanke in ihr. ›War es sündige Anmaßung von mir, das Wissen um die Untaten dieser Frau für mich zu behalten? Aber ich habe es doch nur gut gemeint. Ich wollte Kunigunde davor bewahren, der Wahrheit ins Gesicht sehen zu müssen, jahrelang einer Teufelin ausgeliefert gewesen zu sein und diese für einen Engel gehalten zu haben.‹
Einigermaßen gefasst betete sie:
»Lieber GOTT, ich danke dir, dass du die große Versuchung, mich dem geliebten Herrscher hinzugeben, gar nicht erst an mich hast herankommen lassen. So konnte ich ihr auch nicht erliegen, wenngleich ich mir das nicht als Verdienst anrechnen darf. Einzig und allein Heinrichs keuscher Zurückhaltung ist es zuzuschreiben, dass ich die große Sünde des Ehebruchs nicht begangen habe.«
Befreit und getröstet verließ die Heilerin des Kaisers die Kirche – eine der vielen in Rom, die Maria geweiht waren. Die frommen Väter Berchtold und Odo hatten geduldig
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