Die Heilerin des Kaisers
sämtlicher Lehen für verlustig zu erklären, sollte er sich wiederum in der genannten, sündhaften Weise gegen seine weiblichen Untertanen vergehen.
»Ich behalte Euch im Auge, Hohensteiner, denkt immer daran«, ermahnte ihn der Herzog, ehe er den Verurteilten – nicht etwa in die Freiheit entließ, oh nein! – wieder in den Kerker bringen ließ. Dort würde der Baron nämlich ausharren müssen, bis er seine Schulden restlos getilgt hätte. Allen Anwesenden wurde Stillschweigen auferlegt, bis der Herzog mit seinen Schöffen und dem Benediktiner die Gerichtshalle verlassen hatte.
»Der Herr von Hohenstein hat bloß Glück, dass er sich nicht an einer freien Frau oder gar an einer Edeldame vergriffen hat: Darauf steht nämlich seit alter Zeit die Todesstrafe«, murmelte der Mann neben Griseldis; seinem mit Pelz verbrämten Gewand nach zu schließen ein vermögender Händler.
Ein anderer Zuschauer, dem Ansehen nach von Adel, sagte laut, was manch einer vielleicht nur dachte:
»Der Hohenstein, der arme Kerl, hat das Pech gehabt, dass sein Richter ein halber Pfaffe ist und noch immer wie ein solcher denkt und urteilt. Baron Immo mag es ja ein wenig übertrieben haben, aber viele andere hohe Herren halten es nicht anders.«
»Als Nächstes wird uns der Herzog noch das ius primae noctis streitig machen«, keifte ein kleiner, spindeldürrer Mann giftig, angeblich ein Adliger aus Bogen, der sich der Geschäfte halber in Regensburg aufhielt, wie eine dicke Bauersfrau Griseldis zuraunte.
Ein Mann im schwarzen Gewand mit weißem Kragen, offenbar ein gelehrter Geistlicher der Domschule von Regensburg, widersprach dem Einwurf heftig:
»Dieses angebliche ›Recht der ersten Nacht‹ gibt es gar nicht und hat es nie gegeben, Herr! Weder in der germanischen noch in der römischen Rechtsprechung weiß man davon, vom Kirchenrecht ganz zu schweigen. Allein die Anmaßung mancher Herren gegenüber ihren weiblichen Untertanen hat zu dieser Unsitte geführt. Herr Heinrich täte gut daran, auch diesem Unrecht einen Riegel vorzuschieben.«
Der kleine, magere Edelmann aus dem alten Geschlecht der Grafen von Bogen zog ein schiefes Gesicht, ehe er sich, flankiert von seinen Knechten, auf den Ausgang zubewegte.
Zwei Männer in schlichten, knielangen Kitteln, vermutlich ansässige Handwerker, lachten sich verstohlen an und einer der beiden meinte halblaut:
»Manch einer der hochgeborenen Herren ist dankbar, wenn man es ihm gnädig erlässt, eine nach Kuhmist stinkende Braut zu besteigen. Er übergibt dieses ehrenvolle Amt lieber dem genauso wohlriechenden Bräutigam.«
Die Umstehenden, vorwiegend einfaches Volk, aber auch einige aus höherem Stande, stimmten in das Gelächter ein.
Griseldis aber war begeistert: So einen Herrn wie den Herzog musste man einfach lieben und ihm mit Freuden dienen. Sie nahm sich vor, möglichst bald ihren Dienst am Hof anzutreten – notfalls auch gegen den Willen der Eltern.
KAPITEL 9
G RISELDIS GING DIE Erscheinung des Baiernherzogs einfach nicht mehr aus dem Kopf. Tag und Nacht stand ihr sein Antlitz vor Augen. Die junge Heilerin bewunderte ihn maßlos. Sogar ihr Bruder, der mitnichten ein besonders feinfühliger Mensch war, bemerkte des Öfteren ihre geistige Abwesenheit.
»Wo hast du denn nur schon wieder deinen Kopf, Mädchen?«, hörte sie ihn fragen und seine Stimme klang sehr unwillig.
»Sie wird an die Muhme denken, die vor einigen Tagen gestorben ist«, meinte Dietlinde vermittelnd und legte ihrem Sohn die Hand auf den Arm.
»Aber davon wird Bertrada auch nicht wieder lebendig, Mutter«, brummte Dietwulf. »Außerdem ist die Muhme alt genug geworden, dass man ihr ruhig den Himmel vergönnen kann.«
Griseldis ließ die beiden in dem Glauben. Wie hätte sie über ihre Gefühle sprechen sollen? Bis jetzt wusste überhaupt niemand aus ihrer Familie, dass sie den Herzog behandelt hatte, und außerdem hätte sie ihre Empfindungen gar nicht in Worte fassen können.
Über Gefühle redete man nicht und weder die Mutter noch der Bruder hätten sie verstanden. Sie selbst vermochte ihre Gedanken ja auch nicht einzuordnen.
›Herzklopfen hat er mir gemacht, der schöne Herr Herzog.‹ dachte Griseldis, die in diesem Sommer zwanzig Jahre alt geworden und bisher noch nie verliebt gewesen war…
Als hätte er die richtige Fährte aufgespürt, sprach Dietwulf ein altbekanntes Thema an: »Willst du dich nicht endlich für einen deiner Bewerber entscheiden, Seldi?«
Es passte ihm gar
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