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Die Heilerin des Kaisers

Die Heilerin des Kaisers

Titel: Die Heilerin des Kaisers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Weigand
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Melodie und jenen geheimnisvoll anmutenden Gesang vernommen. Waren es heidnische Gebete oder gar gottlose Zaubersprüche, welche die nackte Dietlinde da mitten im Wald sang?
    ›Das muss eine Todsünde sein‹, ging es ihr durch den Sinn, aber sie fühlte sich dennoch nicht im Stande, dem Treiben der ihr plötzlich so fremd gewordenen Mutter Einhalt zu gebieten.
    Die junge Heilerin hielt es nicht länger aus, Zeugin dieser Gotteslästerung zu sein, und wandte sich behutsam, ohne ein Geräusch zu machen, von dem Geschehen ab. Sie begab sich auf dem schnellsten Weg durch den Rabenwald nach Hause, den seltsam anrührenden Gesang der Mutter immer noch im Ohr.
    Griseldis hatte zwar kaum etwas verstanden, nur die Namen »Allvater Wotan«, »Baldur« und »Freija« hatten ihr offenbart, dass Dietlinde ins tiefste Heidentum zurückgefallen sein musste.
    »Jetzt verstehe ich auch, warum die Mutter neuerdings immer eine Ausrede erfindet, um nicht die Sonntagsmesse besuchen zu müssen und weshalb sie beim gemeinsamen Tischgebet nur noch stumm die Lippen bewegt«, flüsterte Griseldis beklommen, als sie den hölzernen Giebel mit den gekreuzten Balken des heimischen Hofes hinter den uralten Wettertannen auftauchen sah.
    »Lieber Heiland, was soll werden, wenn die Nachbarn es erfahren und wenn erst das Gerede bis zum alten Dorfpriester, Herrn Wulfram, dringt? Sie werden die Mutter aus der christlichen Gemeinde ausstoßen und die Heidin mit Schimpf und Schande aus Tannhofen verjagen.«
    Sie nahm sich vor, am nächsten Morgen mit dem Vater zu sprechen. Notfalls würde man die verwirrte Frau einsperren müssen…
     
     

KAPITEL 10
     
    M ITTLERWEILE WAR ES bereits Sommer des Jahres 1002 und Griseldis lebte immer noch auf dem Hof. Jeden Tag dachte sie an das Versprechen, das sie dem Herzog gegeben hatte. Was sie noch zögern ließ, es zu erfüllen, war nicht etwa ihr Unwille, Herrn Heinrich zu dienen – ganz im Gegenteil, sie freute sich auf diese ehrenvolle Aufgabe –, sondern ihre Sorge, sich von den Eltern und Geschwistern trennen zu müssen.
    ›Wie soll Frowein, der kaum noch laufen kann, ohne mich mit der geistig verwirrten Dietlinde zurechtkommen?‹, dachte sie unglücklich. ›Und was soll aus Gertrud werden, wenn die Mutter sich nicht um sie kümmert? Dietwulf ist kein Mutterersatz für das Kind und Frowein ist viel zu milde, um auch einmal die notwendige väterliche Strenge zu zeigen, die in der Erziehung vonnöten ist.‹
    Der Vater hatte keine seiner beiden Töchter je körperlich gezüchtigt; ja, selbst sein Tadel war stets gemäßigt ausgefallen. Und seinen Sohn und Erben hatte er nur ein einziges Mal verprügelt, als er diesen dabei erwischte, wie er als Zehnjähriger eine Katze gequält hatte. Mutter Dietlinde hatte dagegen des Öfteren von der Rute Gebrauch gemacht – bei allen drei Kindern.
    Im Dorf war die Milde Froweins bekannt und die Leute schüttelten den Kopf über ihn. War es denn nicht die Pflicht eines jeden christlichen Hausvaters, seinen Sprösslingen Zucht und Gehorsam auch mit Schlägen nahezubringen? Alle hielten es so und die meisten Bauern schlugen selbst ihre Ehefrauen.
    Frowein schien zu glauben, seine Kinder seien etwas Besonderes, so behaupteten jedenfalls ein paar übelwollende Neider. Falls tatsächlich einmal derartige Kritik an ihres Vaters Ohr drang, überhörte der Freibauer einfach die Einwürfe.
    Griseldis wusste, wie hoch geachtet und beliebt ihr Vater hingegen im Dorf war, da er stets auf Seiten der Hörigen stand und selbst Auseinandersetzungen mit dem adligen Grundherrn nicht aus dem Weg ging. So manchen hörigen Kleinhäusler hatte Frowein davor bewahrt, völlig in die Unfreiheit abzusinken, indem er diesem half, die Pachtzahlungen für seinen Herrn aufzubringen.
     
    Wenn sie es recht bedachte, fühlte sich Griseldis auf dem heimischen Hof zunehmend wie eine Fremde. Während eines vierwöchigen Aufenthalts auf dem Hof eines Oheims in Gersthofen, einem Ort in der Nähe Augsburgs, hatte sich in Tannhofen einiges verändert.
    Simon, ein Bruder ihres Vaters, hatte gebeten, sie möge sich seines erkrankten Weibes und seiner vier unmündigen Kinder annehmen – ein Ansinnen, dem Griseldis umgehend Folge leistete. Zum Glück war die Erkrankung der Bäuerin nicht so schlimm, wie es anfangs ausgesehen hatte, und bereits nach einem Monat vermochte Wiltrudis ihren häuslichen Pflichten wieder nachzukommen.
    Frowein, ein Mann von fünfundvierzig Jahren, groß und stark wie ein Baum, aber

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