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Die Heilerin des Kaisers

Die Heilerin des Kaisers

Titel: Die Heilerin des Kaisers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Weigand
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nicht, dass Vater Frowein seiner Schwester zugestand, einen Freier als Ehemann anzunehmen oder ihn abzulehnen. Keiner im Dorf nahm auf den Willen seiner Töchter Rücksicht, wenn es darum ging, sie zu verheiraten. Selbst den Söhnen suchten die Eltern im Allgemeinen ihre Ehefrauen aus.
    ›Natürlich will er mich so bald wie möglich vom Hof haben, da er selbst auf Freiersfüßen geht‹, dachte Griseldis. ›Er weiß genau, dass junge Bäuerinnen keinen Wert darauf legen, auch noch eine Schwägerin in Kauf zu nehmen. Aber ich habe überhaupt nicht vor, mir einen Mann auszuwählen. Jedenfalls keinen von denen, die sich bisher beim Vater um mich bemüht haben.‹
    Keiner der in Frage kommenden Männer aus Tannhofen oder einem der umliegenden Dörfer gefiel ihr wirklich. Sie träumte vielmehr von einem schlanken, gut gewachsenen jungen Mann mit kleinem Oberlippen-und kurz geschorenem Kinnbart und einer dunkelbraunen Lockenpracht, die ihm bis zur Schulter reichte…
    Ganz genau sah sie seine blitzenden, dunklen Augen mit den feinen Lachfältchen darum herum vor sich. Aber auch sein verzerrtes Antlitz stand ihr vor Augen; seine Tapferkeit im Ertragen der viehischen Schmerzen, die er erleiden musste. Wie sehr bewunderte sie den Herzog!
    ›Oft habe ich es als Heilerin erlebt, dass sich erwachsene, starke Männer bei den kleinsten Wehwehchen angestellt haben wie kleine Kinder.‹
    »Du bist wahrhaftig nur noch am Träumen, Seldi«, drang da erneut die nörgelnde Stimme ihres Bruders an ihr Ohr.
    »Entschuldige, bitte, was war es noch gleich, was du wissen wolltest, Wulf?« Sie hatte sich vorgenommen, Dietwulf, den nächsten Hofherrn, in der kurzen Zeit, die sie noch in Tannhofen sein würde, nicht zu erzürnen.
    Im letzten Winter, zum Jahreswechsel 1000 auf 1001, war ihr Vater schwer verunglückt, als er den Dorfbewohnern dabei geholfen hatte, im Wald Wolfsgruben auszuheben. Eigentlich war dies eine Sache, die den Grundherrn der Bauern anging. Aber der hatte sich noch nie darum gekümmert. Sobald es kalt wurde, verkroch sich der feine Herr Immo lieber auf seinem Hof und schwenkte am warmen Herdfeuer mit seinen Getreuen die Bierhumpen. So war es seit Jahrzehnten Brauch und der Freibauer Frowein hatte sich der Sache angenommen.
    Beim Fällen der Bäume, deren Holz man für die zugespitzten Pfähle in den Gruben brauchte, war er ausgeglitten und unter einen Stamm geraten, der ihm das rechte Bein zerschmettert hatte.
    Als er nach Monaten immer noch humpelte und sich sein Wohlbefinden nicht wesentlich gebessert hatte, beschloss Frowein, in Kürze seinem Hoferben Dietwulf das Regiment zu übergeben. Dann konnte dieser ein Weib nehmen und selbst eine Familie gründen.
    Das Ganze kam Griseldis nicht ungelegen: Je eher eine neue Bäuerin auf den Hof kam, desto eher würde man sie ziehen lassen. Das Einzige, was der jungen Heilerin Sorgen bereitete, war die Mutter.
    Dietlinde hatte sich in kürzester Zeit sehr verändert. Im letzten Winter, kurz vor ihrem vierzigsten Geburtstag, war sie überraschend stark gealtert. Grauhaarig, mit rundem Rücken und abgemagert, mit tiefen Falten im Gesicht, schlich die ehedem so stolze und aufrechte Frau beinahe scheu umher.
    Aus Regensburg zurückgekehrt hatte Griseldis die Mutter spontan umarmt und war von deren merkwürdig verhaltenem Benehmen seltsam berührt gewesen. Es war nicht mehr zu übersehen, dass auch die Geisteskraft der Mutter gelitten hatte. Die vor Kurzem noch so lebensfrohe Bäuerin wirkte ermattet, ihre Gedanken schweiften häufig ab und ihr Erinnerungsvermögen, was kurz zurückliegende Ereignisse anbelangte, hatte bedenklich abgenommen.
     
    In den nächsten Wochen verschlechterte sich Dietlindes Zustand rapide; sie lebte zunehmend nur noch in der Vergangenheit. Den erwachsenen Sohn Dietwulf und die große Tochter Griseldis behandelte sie häufig wie unmündige Kleinkinder. Sie beharrte auf nicht altersgemäßen Verboten und griff, falls diese nicht befolgt wurden, auf alberne Bestrafungen zurück.
    Mehr als einmal mussten Frowein oder das Gesinde ihr einen Haselnussstecken aus der Hand nehmen, mit dem sie Wulf oder Seldi züchtigen wollte, da diese »unartige Kinder« seien und nicht frühzeitig zu Bett gehen wollten oder ihre Suppe nicht aufgegessen hatten…
    Inzwischen lachte niemand mehr über diese sich häufenden Vorfälle; alle bedauerten den gutmütigen Frowein, der unter der traurigen Lage besonders litt – liebte er Dietlinde doch seit seinen Jugendtagen.
    Doch am

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