Die Heilerin des Sultans
»Sogar die Schiffe
sind bezahlt.« Er lachte kalt. »Es wäre auch ein
Jammer gewesen, sie einfach so zu versenken.« Seine Stimme
hatte einen beinahe wehmütigen Unterton – fast so als
schmerzte ihn der Verlust eines Schiffes mehr als der Tod seiner
Landsleute. »Aber wenn wir mit ihnen zurückkämen, was
würden dann wohl die Aufseher des Senats sagen? Dazu bin selbst
ich ein zu schlechter Lügner!« Otto verkniff sich ein
Schnauben, da er den Mann um nichts in der Welt verärgern
wollte. Wenn er Venedig lebend erreichen wollte, schmierte er dem
Kerl besser Honig um den Mund. Denn was sollte diesen davon abhalten,
ihm auf offener See die Kehle durchzuschneiden und ihn den Haien zum
Fraß vorzuwerfen? »Ich hätte Interesse, als Partner
in Euer Geschäft einzusteigen«, erklärte er deshalb
und wandte den Blick von dem Morden ab. Jetzt, da er ein reicher Mann
war, sollte er zusehen, dass er seinen Wohlstand vermehrte. Und das
Täuschungsmanöver des Kapitäns war vielversprechend.
Er hoffte, dass er mit dem Vorschlag nicht zu lange gewartet hatte.
Aber die Seekrankheit hatte in den vergangenen Wochen alles andere in
den Hintergrund gedrängt. »Was haltet Ihr davon, wenn ich
mich als Teilhaber bei Euch einkaufe?«
Der
Mund des Seemannes verhärtete sich, und einen Augenblick lang
fürchtete Otto, dass der Zeitpunkt der Wahrheit gekommen war.
Doch dann zuckte der Italiener die Achseln und meinte: »Warum
eigentlich nicht. Ein Deutscher als Partner verleiht dem Ganzen
zusätzliche Glaubwürdigkeit.« Er dachte kurz nach.
»Allerdings muss ich Euch warnen. Es darf höchstens jeder
vierte Zug verloren gehen. Ansonsten setzt der Senat uns Aufseher mit
an Bord, und dann ist die Katze schneller aus dem Sack als uns lieb
ist.« »Abgemacht«, sagte Otto erleichtert und
schlug in die Hand des anderen ein, der ihn spöttisch beäugte.
»Wisst Ihr, ich hätte Euch auch ohne diesen Handel
unversehrt nach Venedig zurückgebracht.« Er lachte
meckernd. »Schließlich bin ich ein Ehrenmann.«
Damit drosch er Otto auf den Rücken und bellte seine Männer
auf Italienisch an, woraufhin diese sich auf den Weg ins Dorf
machten. »Sobald die Sonne aufgeht, bringen die Fischer uns mit
ihren Booten auf die Nachbarinsel«, informierte der Seemann den
verwirrt blinzelnden Katzensteiner. »Dort können wir uns
ein kleineres Schiff mieten.« Er verzog die Lippen, sodass
seine Zähne den Schein des Feuers einfingen. »Immerhin
wollen wir den Eindruck vermitteln, überfallen worden zu sein.
Je schäbiger der Kahn, desto unwahrscheinlicher ist es, dass die
Senatoren Verdacht schöpfen.« Er packte den Sack und
schulterte ihn, als wöge er nicht mehr als eine Ladung Federn.
Otto, in dessen Tasche 150 venezianische Golddukaten ruhten, starrte
noch eine Weile aufs Meer hinaus, wo die erste der geenterten Koggen
bereits Segel setzte, um mit der nächsten Flut auszulaufen.
Offensichtlich war der Widerstand der Besatzung inzwischen erstorben,
da die Überlebenden an Deck zusammengetrieben worden waren.
Vermutlich würden die Seeleute – genau wie sein Neffe –
als Sklaven an die Osmanen verkauft werden. Er wischte den leisen
Anflug von Reue mit einer ungeduldigen Bewegung zur Seite und lenkte
seine Gedanken auf all die Dinge, die er sich allein mit der
Bezahlung für Falk würde kaufen können. Nicht nur
konnte er seine Schulden bei dem Blutsauger in Ulm bezahlen, er würde
auch das Dach seines Stalles in Katzenstein endlich ausbessern
können. Er rieb sich die Handflächen. Für Stuten und
Hengste würde er keinen rostigen Pfennig ausgeben müssen,
da er vorhatte, Falks gesamte Zucht auf seine Festung zu verlegen.
Ein Kichern stieg in ihm auf und vertrieb auch die letzten
Gewissensbisse. Sobald er wieder in Ulm war, würde er diesen
unverschämten Lutz zum Teufel jagen und sich das Vermögen
des Jungen sichern! Das Erbe, das ihm von Geburt her zustand!
Seine
Hand berührte den Brief, den der Knabe noch im Hafen von Venedig
verfasst hatte – nachdem Otto ihn mit einer List dazu überredet
hatte. »Du solltest ihm wenigstens mitteilen, dass wir Venedig
erreicht haben«, hatte er im Brustton der Überzeugung
gedrängt. »Er ist immerhin dein Verwalter. So weiß
er in etwa, wann er dich zurückerwarten kann.« Das
Argument war ihm selbst lahm erschienen, aber der Bengel war mit
hochroten Wangen darauf hereingefallen. Otto verzog zynisch den Mund.
Wie hätte er auch wissen sollen, dass sein Onkel niemals
vorgehabt hatte, den Brief
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