Die Heilerin des Sultans
arabisches Kamelhaartuch. Für diejenigen, deren Geldbörse
solche Extravaganzen nicht zuließen, reizten etwas weiter
abseits Glasschmuck, Muskatblüten, Feigen, Mandeln und Rosinen.
Neugierig umschlichen die beiden Mädchen den Pulk, der an
manchen Stellen dichter war als an anderen, und reckten die Hälse,
um zu sehen, warum die Frauen wie magisch von einem ganz bestimmten
Zelt angezogen wurden. »Wenn ich es Euch doch sage, meine
Damen«, prahlte dort ein hochgewachsener Mann, dessen glatte
Wangen die Farbe von Ebenholz hatten. »Mein Urgroßvater
selbst hat in diesen Teppich je einen Faden aus Sonnen- und einen
Faden aus Mondlicht eingesponnen. Wenn ihr die Formel richtig
sprecht, wird Euch diese einmalige Knüpfarbeit bis ans Ende des
Regenbogens tragen.« »Sagt uns, wie man sie ausspricht«,
forderte ein schlankes Mädchen. »Das darf ich nicht«,
erwiderte der Händler mit einem bedauernden Schulterzucken.
»Denn dadurch würde der Zauber aufgehoben. Jeder Besitzer
des Teppichs muss es selbst herausfinden, sonst erkennt er ihn nicht
als Herrn an.« Einige der Versammelten lachten unsicher. »Woher
sollen wir dann wissen, ob der Teppich wirklich fliegen kann?«,
fragte eine ganz in Grün Gekleidete, deren erlesenes Geschmeide
sie als eine der Konkubinen des Sultans auswies. »Ihr könntet
doch auch ein Betrüger sein.« Der Mann zuckte zusammen,
als habe sie ihm einen Schlag ins Gesicht versetzt. »Wie könnt
Ihr so etwas annehmen?!«, klagte er und sah sich Unterstützung
heischend um. »All meine Waren sind von allererster Güte.
Wäre der Herr aller Herren anwesend, würde er dieses
Prunkstück besteigen und sich hier, an Ort und Stelle, mit ihm
in die Lüfte erheben!«
Sapphira
verdrehte die Augen. »Was für ein Schlaukopf!«,
zischte sie, doch Gülbahar schien genauso gebannt von dem
Schwindler wie die anderen Frauen. Sie wollte die Freundin gerade mit
ihrer Gutgläubigkeit aufziehen, als ihr Blick auf eine der ganz
in Schwarz gekleideten, taubstummen Jariyes fiel, die der Valide und den anderen hochrangigen Harems bewohnerinnen
dienten. »Wie kann die es sich denn leisten, hier
etwas zu kaufen?«, fragte sie so laut, dass sich einige der
Marktbesucherinnen zu ihr umdrehten. »Sieh doch nur!« Sie
stupste ihre Begleiterin in die Seite und wies mit dem Kinn auf das
Mädchen, das sich am Rande der Ansammlung aufgehalten hatte und
nun in Richtung Innenhof davonhuschte. Unter ihrem Arm trug sie ein
in Leintuch eingeschlagenes Päckchen, aus dem ein Zipfel
schreiend roten Tuches hervorlugte. »Das ist doch viel zu
teuer!« Wenngleich Gülbahar immer noch mit einem Auge nach
dem Teppichhändler schielte, legte sie die Stirn in Falten, als
auch sie den Kauf der Sklavin entdeckte. »Das ist in der Tat
seltsam«, wunderte sie sich – die traurige Stimmung durch
Interesse ersetzt. »Das sieht aus wie bestickter Samt. Ich
möchte nicht wissen, was der kostet.« »Ich schon«,
erwiderte Sapphira und steuerte mit energischem Schritt auf das Zelt
zu, von dem sich die Jariye gelöst hatte. Dort lag
in sorgfältig ausgebreiteten Bahnen nicht nur roter Samt,
sondern auch perlenbesetzter Brokat und golddurchwirktes Wolltuch.
Das hochnäsige Gesicht, mit dem der Verkäufer sie bedachte,
bestätigte ihre Vermutung; und als sie auf ihre Frage nach dem
Preis einer Elle des einfachsten Stoffes eine schwindelerregende
Antwort bekam, verstärkte sich ihr Erstaunen. »Vielleicht
hat eine der Hofdamen sie geschickt, um für sie einzukaufen«,
mutmaßte Gülbahar, der anzusehen war, dass ihre Neugier
bereits wieder verblasste. »Wie dem auch sei«, fuhr sie
fort und drückte Sapphiras Hand. Das, was unter dem Schleier von
ihrem Gesicht zu sehen war, verdunkelte sich erneut mit dem Schatten
der Sorge. »Ich gehe lieber wieder zurück. Das ist doch
alles rausgeworfenes Geld.« Mit diesen Worten verschwand sie –
zweifelsohne zurück in den kleinen Garten hinter den
Dormitorien, um sich um ihren Geliebten zu grämen. Wenn sie doch
nur endlich Vernunft annehmen und begreifen würde, dass es
besser war, wenn sie Andor niemals wiedersah!, dachte Sapphira mit
einem Anflug von Unwillen, da sie die Freundin manchmal am liebsten
so lange geschüttelt hätte, bis diese zu Verstand kam.
Aber
das würde vermutlich auch nichts helfen! Nicht bereit, sich von
der Torheit einer anderen die Stimmung verderben zu lassen, wandte
sie sich von dem überheblichen Stoffhändler ab und
schlenderte weiter, etwas abseits von dem Aufruhr in
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