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Die Heilerin des Sultans

Die Heilerin des Sultans

Titel: Die Heilerin des Sultans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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einem Reiter des venezianischen
Postdienstes – der Compagnia
dei corrieri – auszuhändigen.
Er gab der Versuchung nach und zog das Papier hervor, um die holperig
hingekritzelten Worte zum hundertsten Mal zu überfliegen. »Blah,
blah, blah«, spottete er und strich mit dem Zeigefinger über
den einzigen Teil des Dokumentes, der ihn interessierte: Die
kindliche Unterschrift seines Neffen, die für Otto Gold wert
war. Mehr Gold als es der Siegelring des Knaben, den dieser verloren
haben musste, jemals hätte sein können. Sein Lächeln
verbreiterte sich, als er erneut die Schönheit seines Planes
bewunderte. Gut, er hatte ihn ein paar Mal ändern und an die
Gegebenheiten anpassen müssen. Aber wen scherte das schon, wenn
das Ergebnis Erfolg brachte? Er faltete das kostbare Schriftstück
sorgsam wieder zusammen und steckte es zurück an seinen Platz.
Sobald er zurück in der Heimat war, würde er als erstes
Bruder Protervus im Kloster Herbrechtingen aufsuchen, der seinen
Namen dem für einen Mönch so unpassenden, ungestümen
Temperament verdankte. Doch das war nicht das Wichtigste. Außer
durch die Tatsache, ein Mitglied der Bruderschaft zu sein, zeichnete
sich der Ordensmann dadurch aus, dass er weit und breit der beste
Fälscher war. Und das war es, was ihn für Otto schon mehr
als einmal unentbehrlich gemacht hatte. Er legte den Kopf schief und
dachte an die drei Mal zurück, die er Protervus’ Dienste
in Anspruch genommen hatte. Seine Zunge benetzte die trockenen
Lippen. Was waren schon lächerliche Kaufverträge im
Vergleich zu der Herausforderung, vor die er den Bruder schon bald
stellen würde? Mit einem Glucksen fischte er die für ihn
nutzlose Bankgarantie seines Neffen aus der Tasche und zerriss sie in
kleine Stücke, die er in den Wind streute.
        Die
Zeit verging wie im Fluge. Während er sich den zukünftigen
Wohlstand und Überfluss ausmalte, lichteten die Koggen Anker und
segelten auf die Klippen zu, hinter denen sie bald darauf im rosigen
Licht der Dämmerung verschwanden. Einen Teil des Weges wurden
die Schiffe von kreischenden Kormoranen begleitet, die jedoch bald
die Lust an dem Spiel verloren und im Sturzflug nach Fischen
tauchten. »Wollt Ihr hier Wurzeln schlagen?« Ohne dass
Otto es gemerkt hatte, waren die Venezianer aus dem Dorf
zurückgekehrt. Gefolgt wurden sie von einer Handvoll Fischer.
Wild gestikulierend wiesen diese auf einige Nachen, die wirkten, als
ob sie bei der ersten Welle auseinanderbrechen würden.
Sicherlich hatte der Kapitän nicht vor, damit aufs Meer
hinauszurudern?, dachte Otto entsetzt und hatte Mühe, die
Fassung zu wahren, als ihm einer der Männer bedeutete, in der
Nussschale Platz zu nehmen. »Keine Sorge«, las der
Venezianer seine Gedanken. »Wir bleiben immer dicht an der
Küste. Selbst wenn wir kentern, könnt Ihr jederzeit zurück
an Land schwimmen.« Otto erbleichte. Schwimmen? Davon war nie
die Rede gewesen! Wer, in aller Welt, konnte denn schwimmen? Mit
weichen Knien folgte er der Aufforderung und krallte verkrampft die
Finger in die Bank, nur um sie augenblicklich zurückzuziehen und
mit einem Fluch daran zu lutschen. Nachdem er den Holzsplitter
ausgespuckt hatte, presste er die Knie aneinander und versuchte, an
etwas anderes zu denken als all das viele Wasser um ihn herum. Eine
Winzigkeit lang spielte er mit dem Gedanken, schreiend davonzulaufen.
Doch da wurde der Nachen bereits vom Ufer abgestoßen.
Schaukelnd und schlingernd wurde das Boot von der Flut aufs Meer
hinausgezogen, und bereits nach wenigen Minuten meldete Ottos
Seekrankheit sich wieder zu Wort.

Kapitel 36
     
    Mittelmeer,
Sommer 1400
     
    Die
Finsternis, die Falk umfing, war nahezu vollkommen. Lediglich durch
zwei vergitterte Luken in der Decke fiel ab und zu ein Streifen Licht
in den Laderaum, der nach Schimmel, feuchtem Holz und Furcht stank.
Zusammengepfercht mit den anderen Gefangenen kämpfte er seit
Stunden in dem stickigen Schiffsbauch gegen eine übermächtige,
alles andere auslöschende Panik an, die drohte, ihm den Verstand
zu rauben. Immer noch an Armen und Beinen gefesselt, hatte er
inzwischen jegliches Zeitgefühl verloren. Doch das nagende
Hungergefühl ließ ihn vermuten, dass sich der Tag bald dem
Ende neigen musste. Seitdem er mit den restlichen Überlebenden
über das blutgetränkte Deck gezerrt und grob die Ladeluke
hinabgestoßen worden war, hatte sich keiner der Piraten blicken
lassen, um ihnen Wasser oder gar etwas zu essen zu geben. Und wenn
ihn die furchtbaren

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