Die Heilerin des Sultans
Krämpfe in seinen Gliedern nicht umbrachten,
dann würde er mit Sicherheit bald verdursten. Angestrengt
versuchte er, genug Speichel zu sammeln, um das Kratzen in seinem
Hals zu lindern. Aber der Versuch war ebenso fruchtlos wie seine
Bemühungen, sich in eine andere Position zu schieben. Erfolglos
tastete er nach einem Halt, der es ihm erlauben würde, den
Oberkörper aufzurichten. Eine Welle glühenden Schmerzes
ließ ihn mit einem Wimmern aufgeben. Erschöpft legte er
die Wange auf die glitschigen Bohlen und ließ sich von der
Dunkelheit wie von einem Mantel einhüllen. Außer dem
Knarren der Planken und dem Gischten des Wassers durchschnitt kein
Laut die gespenstische Stille in den Eingeweiden des Schiffes.
Nachdem die Einstiegsöffnungen geschlossen worden waren, hatte
ein Feuerwerk italienischer Schimpftiraden eingesetzt, die jedoch
schon bald in Wehklagen, Flehen und schließlich verzagtes
Schweigen übergegangen waren. Da Falks Latein zwar gut war, aber
nicht ausreichte, um den Dialekt der Italiener zu verstehen, hatte er
schon nach kurzer Zeit aufgegeben, den Gesprächen zu folgen, und
sich an einen Ort in seinem Kopf zurückgezogen, an dem er die
Furcht wenigstens für eine Weile in Zaum halten konnte. Doch je
länger die Wellen von außen gegen die Bordwand klatschten,
desto schwerer fiel es ihm, sich gegen die kriechende Kälte zu
wehren, die sich trotz der Wärme in ihm ausbreitete.
Wäre
er doch nur zur Beichte gegangen! Zweifelsohne war die Zwangslage, in
der er sich befand, die Strafe für seine Sünden! Er biss
die Zähne zusammen, um nicht vor Verzweiflung laut aufzuheulen.
Wenngleich es ihm kaum auszuhaltende Schmerzen bereitete, ballte er
die halb abgestorbenen Hände zu Fäusten und genoss das
Gefühl der Sühne, das er dabei empfand. Wo war Otto? Trieb
sein Onkel zerhackt oder verstümmelt im Meer wie all die anderen
Unglücklichen? Oder harrte er auf einer der übrigen Koggen
seines Schicksals? Seine eigene Angst vermischte sich mit der
grauenvollen Vorstellung, den Onkel ebenso verloren zu haben wie
seine Eltern. Doch bevor er noch tiefer in den Abgrund der
Hoffnungslosigkeit stürzen konnte, verkündete das Klirren
von Ketten, dass sich jemand an den Luken zu schaffen machte. Kurz
darauf polterten Stiefel die Stufen hinab und Fackelschein erhellte
den Frachtraum. Vom Licht entwöhnt, kniff Falk die Augen
zusammen und versteifte sich, da er sicher war, dass die Männer
gekommen waren, um sie ebenfalls abzuschlachten. Mit angespannten
Nackenmuskeln wartete er darauf, dass der tödliche Streich fiel,
während sich all seine Sinne schärften. Beinahe war es, als
baue sich die Bedrohung zu einer Wand auf, die unaufhaltsam näher
kam. In einer seltsam gutturalen Sprache bellten die Seeräuber
die Gefangenen an, und einige der unverständlichen Bemerkungen
wurden von hartem Gelächter quittiert. Ab und zu ertönte
ein Schlag, dem ein Schrei folgte, der weiteres Lachen erntete. Als
Falk ein Fuß in die Rippen traf, stöhnte er auf und rollte
sich schützend zusammen – in dem aussichtslosen Versuch,
das Unabwendbare hinauszuzögern. Derweil sein Herzschlag sich
überschlug, presste er die Lippen aufeinander, um seinem Mörder
die Genugtuung zu verweigern, ihn betteln zu hören. Auf keinen
Fall würde er um Gnade winseln! Als ihm eine Hand in die Haare
fuhr und seinen Kopf nach hinten bog, löste sich die
Entschlossenheit jedoch genauso schnell wie sie gekommen war in
Wohlgefallen auf. Und er hatte Mühe, nicht die Kontrolle über
seine Blase zu verlieren. Die Fratze, die sich in sein Blickfeld
schob, starrte vor Dreck und getrocknetem Blut. So dicht hielt ihm
der Pirat die Flamme der Fackel vors Gesicht, dass es sich anfühlte,
als ob seine Wimpern und Augenbrauen versengt würden. Einige
Augenblicke lang musterte der Kerl ihn von oben bis unten, tastete
jeden Zoll seines Gesichtes ab, bevor er schließlich mit der
Zunge schnalzte und sich nachdenklich das Kinn rieb. »Bist du
der Deutsche?«, fragte er endlich in holperigem Italienisch.
Kaum hatte Falk die Frage mit rauer Stimme bejaht, rammte er die
Fackel in einen Spalt zwischen den Bohlen und zog einen krummen
Dolch. Wenngleich der Knabe sich noch vor wenigen Minuten
vorgegaukelt hatte, dem Tod gleichgültig ins Auge sehen zu
können, traf ihn das Grauen wie ein Keulenschlag. Gebannt wie
ein Hase im Angesicht der Schlange verfolgte er, wie der glänzende
Stahl sich ihm näherte.
Dicht
vor seiner Brust hielt der Pirat jedoch
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