Die Heilerin des Sultans
weiß doch jeder!«,
schoss der Bursche zurück und blitzte sein Gegenüber mit
kohlschwarzen Augen an. Hohe Wangenknochen verliehen seinem
sonnengebräunten Gesicht etwas Kantiges, und die großen
Hände verrieten, dass er zu einem beeindruckenden Mann
heranwachsen würde. »Der Palast des Sultans ist der
Eingang zur Hölle.« Wenngleich Falk den Worten des
Burschen keinen Glauben schenken wollte, umklammerte er unbewusst das
Kruzifix an seinem Hals, während sich die Überzeugung
verstärkte, dass Gott ihn für seine Verfehlungen geißelte.
Kapitel 37
Der Schlaf
wollte und wollte nicht kommen. Anders als seine venezianischen
Mitgefangenen hatte Falk kaum einen Bissen des faden Fischgerichtes
angerührt, aber es war nur zum Teil der nagende Hunger, der ihn
wach hielt. Lange Zeit wälzte er sich von einer Seite auf die
andere, bis ihn ein ärgerlicher Stoß in die Seite traf. Da
es ohnehin keinen Zweck hatte, weiter zu versuchen, Ruhe zu finden,
erhob er sich mit steifen Gelenken und schlich auf Zehenspitzen zu
einer der Schießscharten. Trotz der nächtlichen Stunde
herrschte immer noch drückende Hitze in dem beengten Bugkastell,
das sich in der prallen Sonne des Tages vermutlich zu einem Backofen
aufheizen würde. Dankbar um etwas Kühlung, zwängte
Falk den Kopf durch den schmalen Spalt und suchte in der tintigen
Finsternis erfolglos nach dem Horizont. Glatt und schwarz erstreckte
sich das Meer so weit sein Auge reichte, und im blauen Licht des
Mondes wirkte das Wasser wie ein auf Hochglanz polierter Spiegel. Wie
die Pforte zu einer anderen Welt, dachte er und zog die Schultern
hoch, als er sich ausmalte, was für Höllenwesen am Grund
des Meeres ihr Unwesen trieben. Vermutlich wurde man direkt in das
Reich des Teufels gezogen, wenn man das Pech hatte, über Bord zu
gehen. Die Vorstellung bereitete ihm Unbehagen, und obwohl er sich
einen Feigling schalt, zog er hastig den Kopf zurück – um
argwöhnisch die Ohren zu spitzen. Bereits vor Stunden war Ruhe
auf Deck eingekehrt, die nur ab und zu durch einen leisen Austausch
der Wachhabenden unterbrochen wurde. Weshalb das Schlagen einer Tür
und das Klirren von Ketten umso vernehmlicher durch die Dunkelheit
hallten. Einen Moment lang dachte Falk, sich getäuscht zu haben.
Doch dann durchschnitt dröhnendes Gelächter die Nacht, das
kurz darauf von begeistertem Händeklatschen begleitet wurde. Da
der Knabe nicht verstand, worüber sich die Seeleute so
amüsierten, schrak er umso heftiger zusammen, als sich plötzlich
jemand an der Tür ihres Gefängnisses zu schaffen machte.
Er
wich in die hinterste Ecke der Kajüte zurück, da kurz
darauf einige hochgewachsene Gestalten im Rahmen auftauchten. Im
Schein ihrer Fackeln erkannte Falk drei der Männer, welche die
Jungen an Deck und dann zum Bugkastell gebracht hatten. Bevor er sich
fragen konnte, was die Seeleute mitten in der Nacht in der Unterkunft
ihrer Gefangenen wollten, drängten sich die Kerle in den
winzigen Raum, der augenblicklich taghell erleuchtet war.
Offensichtlich betrunken wankten sie einige Atemzüge lang auf
der Stelle, bevor sie die Fackeln ungeschickt in die dafür
vorgesehenen Halterungen steckten und auf die erwachenden Knaben
zutorkelten. Einige von diesen rieben sich verwundert die Augen und
blickten angstvoll zu den Eindringlingen auf. »Was ist los?«,
stammelte Antonio, der Knabe, mit dem Falk sich am Abend unterhalten
hatte. Doch ein brutaler Schlag mit der Faust brachte ihn zum
Verstummen. Leblos wie eine Gliederpuppe sackte er zurück auf
sein Strohlager, während das Blut in einem Schwall aus seiner
Nase schoss. Der Tumult, der sich daraufhin erhob, wurde von dem
Anführer der Gruppe dadurch unterbunden, dass er zwei der Jungen
an den Haaren in die Höhe riss und mit den Köpfen
zusammenschlug. »Haltet die Klappe!«, brüllte er
lallend und bedachte die Anwesenden mit einem mordlustigen Blick.
»Du, du und du«, befahl er in schleppendem Italienisch.
»Ihr kommt mit.« Seine Hand wanderte zu dem Gürtel,
mit dem seine vor Schmutz starrende Hose mehr schlecht als recht
zusammengehalten wurde. Die drei Knaben, auf die seine Wahl gefallen
war, drängten sich schlotternd zusammen. Einer seiner Begleiter
warf etwas ein, das Falk nicht verstand, und zückte einen
spitzen Dolch. Aber der Wortführer schüttelte den Kopf.
Ohne Falk oder die anderen Jungen eines weiteren Blickes zu würdigen,
pflückte er sich den Kleinsten aus dem Kleeblatt und schleifte
ihn am Oberarm hinter sich
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