Die Heilerin des Sultans
her. Die anderen beiden Jungen, die
ebenfalls nicht viel älter als elf Jahre sein konnten, wurden
von seinen Spießgesellen ähnlich grob gepackt und aus der
Kajüte getrieben. Als einer der Burschen anfing zu weinen,
drehte sein Peiniger ihn derb um und ohrfeigte ihn ein halbes Dutzend
Mal, sodass sich das Weinen in lautstarkes Heulen verwandelte. Starr
vor Entsetzen verfolgte Falk, wie der Mann sein Messer zog, dem
Knaben den Mund aufriss und seine Zunge packte. Augenblicklich
verstummte das Jammern und die Tränen des Jungen versiegten.
»Ein Ton und du wirst ein stummer Sklave«, knurrte der
Seemann und funkelte seinen Gefangenen an. Dann versetzte er ihm
einen weiteren Hieb und schloss die Pranke um seinen Nacken, bevor er
ihn aus dem Bugkastell stieß.
Der
dumpfe Knall, mit dem die Tür ins Schloss fiel, rüttelte
Falk aus seiner Erstarrung auf. Mit zitternden Knien stolperte er an
Antonios Seite, riss ein Stück Stoff von seinem Hemd ab und
drückte es dem Venezianer auf die Nase. Dann tauchte er die
Kelle in den Trinkwassereimer und goss dem Besinnungslosen einen
Schwall ins Gesicht. Prustend schlug dieser die Augen auf und
blinzelte einige Male, bevor er sich mit einem Stöhnen an die
Nase fasste, deren Schwellung verriet, dass sie gebrochen war. » Dio
mio «, murmelte er und
stemmte sich mühsam auf den Ellenbogen. »Was ist
passiert?« In ungeschminkten Worten berichtete Falk ihm, was
vorgefallen war. »Diese Schweine«, zischte Antonio. »Die
Sünde Sodoms! Das ist es, was auch uns erwartet!« Seine
blutunterlaufenen Augen weiteten sich furchtsam. »Erst rauben
sie dir die Seele, dann zwingen sie dich, den Herrn der Finsternis
anzubeten.« Er schlug mehrere hastige Kreuze vor der Brust und
küsste danach seine Fingerspitzen. Dann kämpfte er sich auf
die Knie und begann, auf Italienisch zu beten. Vielleicht sollte ich
das auch tun, dachte Falk. Doch da die Vorstellung, dass Antonios
Worte wahr sein könnten, ihn mit abgrundtiefem Grauen erfüllte,
lenkte er sich damit ab, den anderen beiden Burschen zu helfen. Erst
als auch diese wieder munter waren, sank er neben dem Venezianer auf
den Boden und flehte zu Gott. Lange Zeit verging in schweigendem
Bitten – Bitten, das vermutlich fruchtlos war. Aber jedes Mal,
wenn ihm sein Verstand einflüstern wollte, dass Gott ihn
aufgegeben hatte, bäumte sich etwas in Falk auf und ließ
ihn weiter beten. Als Stunden später wieder schwere Schritte
über Deck polterten, zuckte er zusammen und schwor sich
fröstelnd, dass er seine Seele mit Zähnen und Klauen
verteidigen würde. Dennoch sank sein Mut, als die Tür
aufsprang und die Raubeine die drei halb nackten Knaben zurück
in ihr Gefängnis stießen. War er der nächste? Seine
Muskeln verkrampften sich. Doch kaum hatten sie sich ihrer Opfer
entledigt, machten die Piraten kehrt, und ein weiteres Mal fiel der
Riegel von außen in die Halterung.
Ein
Blick auf die zusammengekauerten Häuflein ließ ihn die
eigene Furcht vergessen. Sowohl der kleinste als auch der magerste
der drei Jungen waren über und über mit Blut besudelt, und
beide zierten fingerdicke Striemen. Die zerfetzten Hemden waren
ebenfalls von roten Flecken übersät, und alle drei stanken
nach Kot und Urin. »Heiliger Achatius«, stieß Falk
erschüttert hervor. »Was haben sie euch angetan?«
Wenngleich er die furchtbare Antwort ahnte, schrak er betroffen
zurück, als einer der Knaben sich auf den Knien aufrichtete und
ein Heulen ausstieß, das klang wie das eines gemarterten
Tieres. Die grünen Augen des Elfjährigen wirkten milchig,
und obwohl er Falk direkt anblickte, schien er ihn nicht zu sehen.
Tränen hatten deutliche Spuren auf seinem schmutzigen Gesicht
hinterlassen, das zu einer Maske des Schmerzes verzerrt war. Als
könne dies seine Pein lindern, grub er die Finger in den
blauschwarzen Schopf und vergrub den Kopf in seinem Schoß.
Immer noch wimmernd ließ er sich auf die Seite fallen und
rollte sich zu einem schützenden Ball zusammen. Nachdem er einen
unsicheren Blick mit Antonio gewechselt hatte, nahm Falk sich ein
Herz und ging neben ihm in die Hocke, um ihm tröstend die Hand
auf die Schulter zu legen. »Es wird alles gut«, versprach
er ohne Überzeugung, während sich das Beben des Knaben auf
ihn übertrug.
Kapitel 38
Griechenland,
Hochsommer 1400
Müde
und gelangweilt zupfte Maria Olivera Despina eine weitere Weintraube
ab und steckte sie sich in den Mund. Seit Tagen brannte die Sonne
erbarmungslos und
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