Die Heilerin des Sultans
Sultans auf
sich. Wenn er sich doch nur Schwingen wachsen lassen könnte!,
dachte er neidisch und kniff die Augen zusammen, als ihm eine
Staubwolke entgegen wirbelte. Dann könnte er sich in die Lüfte
erheben und wie ein aus rauchlosem Feuer erschaffener Dschinn auf Timur hinabfahren und
diesen in die Dschahannam – die Hölle –
stürzen, wo er im See aus Feuer verbrennen würde. Erneut
wallte Zorn in ihm auf. »Dieser ungläubige Sohn einer
Ziege!«, murmelte er, genau wie vor einer Woche, als er die
Nachricht zerknüllt und gedonnert hatte: »Der Monat ist
noch nicht um, und er zieht gegen mich?!« Seine Miene
verdunkelte sich, als er an Ali Pashas Einwand zurückdachte.
»Wir sind doch auch auf einem Kriegszug, Padischah «,
hatte dieser betroffen bemerkt, da es sein Glaube eigentlich auch
Bayezid verbot, vor Ablauf des Monats Dhu’l-Hidschdscha die Waffen zu erheben. »Der
Unterschied ist nur, dass ich ein Ghazi bin, der sich im Heiligen
Krieg befindet, und kein Gläubiger, der einen anderen Gläubigen
angreift!«, hatte der Sultan ausgespuckt und einen lästerlichen
Fluch folgen lassen. Eine in Küstennähe auftauchende
Galeere hellte seine Stimmung ein wenig auf. Wenigstens hatte der
Kommandeur seiner Flottenbasis in Gallipoli gute Neuigkeiten für
ihn gehabt! Offenbar war die Knabenlese erfolgreicher verlaufen als
erwartet, und es befanden sich mehrere hundert neue Militärsklaven
auf dem Weg nach Bursa.
*******
Auch wenn
die Sänftenträger ihr vor lauter Eile sämtliche
Knochen im Leib durcheinander schüttelten, war Olivera von einem
Gefühl tiefer Zufriedenheit erfüllt. Anders als die hohen
Würdenträger und Bayezid selbst, empfand sie den Aufbruch
aus Griechenland nicht als Niederlage, sondern als ein Zeichen
Gottes, der ihr einen Schutzengel für ihr Kind gesandt hatte.
Wie sonst ließ es sich erklären, dass ihr Wunsch so
schnell in Erfüllung gegangen war und sie nach Bursa
zurückkehrten? Wenngleich die Hitze in der Sänfte beinahe
unerträglich war, fühlte sie sich seltsam wohl –
beinahe als wäre mit dem Aufbruch jegliches Gefühl von
Unbehagen ausgelöscht worden. Um zu verhindern, dass sie sich
grün und blau schlug, hatte sie einen Wall aus Kissen um sich
herum errichtet, der die schlimmsten Stöße abfing. Und so
wie sie in der Mitte des Tragsessels thronte, kam sie sich beinahe
vor wie eine Henne in ihrem Nest. »Ihr solltet etwas trinken,
Herrin«, riet ihre Zofe mit leiser Stimme und reichte ihr einen
goldenen Becher. Dieser, nur halb gefüllt, damit sein Inhalt
nicht über den Rand schwappte, enthielt eine Mischung aus Wein,
Gewürzen und Honig, welche Olivera als kräftigend empfand.
Froh darüber, das griechische Mädchen um sich zu haben,
nippte sie ein paar Mal von dem wohlschmeckenden Trunk, bevor sie das
Gefäß zurückgab und die Beine unterschlug. »Stimmt
es, was die anderen Frauen sagen?«, fragte sie ihre Zofe nach
einigen Minuten des Schweigens. »Kannst du die Zukunft aus der
Hand lesen?« Obwohl Olivera eigentlich nichts von derartigem
Aberglauben hielt, konnte sie die Versuchung nicht länger
niederringen. »Ja, Herrin«, entgegnete die Griechin
schüchtern und senkte den Kopf als fürchte sie, für
dieses Geständnis bestraft zu werden. »Viele in meinem
Heimatdorf hatten diese Gabe.«
Einen
Augenblick kämpfte Olivera mit sich, doch dann streckte sie der
jungen Frau ihre Linke hin und forderte: »Sag mir, was die
Zukunft bringt.« Sichtlich überrascht von diesem Befehl,
zögerte das Mädchen kurz, bevor es mit klammen Fingern die
Hand der Älteren ergriff. Eine scheinbare Ewigkeit starrte sie
darauf hinab, fuhr Linien nach, die Olivera noch nie beachtet hatte,
und bewegte die Lippen in einer Art Gebet. Als ihre Fingerkuppe an
der Wurzel von Oliveras Mittelfinger anlangte, zog sie erschrocken
die Luft durch die Nase ein und hob den Blick zu ihrer Herrin. »Was
ist?«, fragte diese atemlos, da sich die Unruhe des Mädchens
auf sie übertrug. »Was siehst du?« Die Finger, die
ihre eigenen umschlossen, schienen immer kälter zu werden.
»Siehst du Tod?«, drängte Olivera und zog ihre Hand
zurück, um selbst nach Anzeichen eines Schicksalsschlages zu
suchen. »Ich sehe ein langes Leben«, hauchte die Zofe und
wich dem Blick der Sultansgemahlin aus. »Ihr seid stark und
weise, und habt mehr Kraft als viele Männer zusammen.« Sie
zögerte und blinzelte einige Male aufgeregt. »Vielleicht
werdet Ihr einen weiteren Gatten haben«, fügte sie hinzu.
»Aber
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