Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Heilerin des Sultans

Die Heilerin des Sultans

Titel: Die Heilerin des Sultans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
Vom Netzwerk:
sie
zusteuerten, mit üppiger Pracht und vollkommener Architektur
protzte?
        Dennoch
blieb ein Rest nagenden Zweifels zurück, und mit jedem Schritt,
den er sich seinem Schicksal näherte, wurde ihm unbehaglicher
zumute. Fast eine Woche hatte die Reise von Gallipoli nach Bursa
gedauert; und wohingegen die Tage auf See noch verhältnismäßig
angenehm gewesen waren, hatte der Marsch unter sengender Sonne ihn
ans Ende seiner Kräfte gebracht. Wie viele andere, schleppte
auch er sich inzwischen nur noch aus Furcht vor Bestrafung vorwärts.
Denn die brutalen Treiber sorgten dafür, dass sich niemand zu
Boden fallen ließ, der nicht wirklich zu schwach war, um
weiterzulaufen. Erbarmungslos prügelten sie auch auf die
Kleinsten ein, deren Weinen sie noch anzuspornen schien. Kurz nach
der Landung hatte eine Gruppe Knaben versucht zu fliehen. Und noch
immer standen Falk die Haare zu Berge, wenn er an die Knüppel
dachte, mit denen ihre Fußsohlen in einen blutigen Brei
verwandelt worden waren. Ungeachtet der entsetzlichen Schmerzen,
welche die Tortur ihnen bereiten musste, waren sie gezwungen worden
weiterzugehen, als ob nichts geschehen wäre – und zwei von
ihnen waren an einer Vergiftung des Blutes gestorben. Unbewusst rieb
Falk sich die Handgelenke, die mit einem derben Strick gefesselt
waren. Wie Schlachttiere, waren je vier von ihnen in einer Reihe
zusammengebunden, damit kein einzelner auf die Idee kam, das Weite zu
suchen. Ein dröhnender Befehl brachte die jungen Männer und
Knaben vor ihm zum Stehen, und unversehens stieg eine kalte, alle
Vernunft auslöschende Panik in ihm auf. Wenngleich er sich
geschworen hatte, diese Prüfung Gottes geduldig wie ein Ochse
das Joch zu tragen, griff er nach dem Kruzifix an seinem Hals. »Vater
unser, der Du bist im Himmel, geheiligt werde Dein Name. Dein Reich
komme, Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden!« Er
verstummte, als einer der Treiber neben ihm auftauchte. Hastig ließ
er das Kreuz los und verbarg es unter seinem Hemd. Nachdem der Türke
ihn kurz prüfend gemustert hatte, eilte er weiter und ließ
Falk mit seiner Mutlosigkeit allein. »Unser täglich Brot
gib uns heute; und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben
unsern Schuldigern; und führe uns nicht in Versuchung, sondern
erlöse uns von dem Bösen, Amen,« flüsterte er
ohne die Lippen zu bewegen.
        Als
sich das gewaltige Tor mit einem Knarren öffnete, rutschte ihm
das Herz in die Hose. Was, wenn Antonio doch die Wahrheit gesagt
hatte? Was, wenn ihn hinter den so weltlich wirkenden Mauern
Höllenstürme, Eisregen, kochendes Pech und vom Himmel
fallende Feuerflocken erwarteten? Ganz zu schweigen von Dämonen,
Harpyien und anderen Ungeheuern? Sein Blut gefror, als sich das Seil
um seine Handgelenke straffte und seine Mitgefangenen ihn vorwärts
zogen. Während sich ein Zittern in ihm ausbreitete, stolperte er
an bewaffneten Wächtern vorbei ins Innere des Palastes, das in
seiner Phantasie die grauenvollsten Formen annahm. Da er die Lider
aufeinandergepresst hatte, stieß er nach kurzer Zeit mit seinen
Vordermännern zusammen, als diese urplötzlich haltmachten.
Erschrocken riss er die Augen wieder auf und blinzelte verdutzt, als
er prunkvolle Gebäude, Wasserspiele und Gärten erblickte.
Blaue Pfauen stolzierten mit gespreizten Schwanzfedern über
einen Hof, der so sauber war, dass man vom Boden hätte essen
können. Eine Handvoll Kamele war ordentlich in Reih und Glied im
Schatten eines vorspringenden Daches angebunden; und jedes Mal, wenn
sie den Kopf bewegten, klimperten kleine Glöckchen an ihrem
Geschirr. Durch einen Torbogen, der in einen weiteren Hof zu führen
schien, trabte soeben ein halbes Dutzend Offiziere, deren Reittiere
Falk den Atem stahlen. Schneeweiß und glänzend schimmerte
das Fell der Vollblüter im Sonnenschein, als diese sich dem Zug
näherten. So sahen Kreaturen der Hölle aus? Die Verwirrung
nahm zu, als die Offiziere aus dem Sattel glitten und die Reihen der
Gefangenen abschritten. Die jungen Janitscharen aus Gallipoli lösten
sich auf einen Befehl hin aus der Schlange und scharten sich um
Banner, die Falk erst jetzt bemerkte. Der Rest der jungen Männer
wurde dem Alter nach getrennt, sodass Falk sich in einem Kreis
Gleichaltriger wiederfand. Diese – etwa dreißig Knaben –
wurden in den Schatten einer Palme dirigiert, wo sie zu warten
hatten, bis die Auslese beendet war. Die jüngsten Gefangenen
nahm ein blau Gekleideter mit einem roten Hut unter seine

Weitere Kostenlose Bücher