Die Heilerin des Sultans
Ein weiteres dröhnendes Lachen
hatte Otto verraten, dass er ihm kein Wort glauben sollte. Und doch
nagte seit diesem Gespräch etwas an ihm, das mit jedem Tag, der
verstrich, mächtiger zu werden schien. Er zügelte den
Apfelschimmel zu einem gemächlichen Schritt und zog die
Schultern hoch. Manchmal vermeinte er sogar an den heißesten
Tagen zu frieren. Er hob die Hand an seinen Hals, an dem seit einiger
Zeit ein Kruzifix baumelte. Zwar war sein bisheriges Leben alles
andere als gottesfürchtig gewesen, aber es konnte sicherlich
nicht schaden, sich vor den Dämonen der Hölle zu schützen.
Denn das war es gewesen, was ihn an den Worten des Piraten am meisten
erschüttert hatte: dass einem Sünder wie ihm offenbar schon
zu Lebzeiten die Seele geraubt werden konnte. Dann würde ein
Dämon in seinen leblosen Leib schlüpfen und in der
diesseitigen Welt sein Unwesen treiben, während er selbst
bereits im Inferno unvorstellbare Qualen erlitt.
Er
wischte die beunruhigenden Gedanken mit einer ärgerlichen Geste
zur Seite. Was er getan hatte, war richtig! Richtig und unumgänglich.
Hätte er den Jungen tatsächlich ohne finstere Absichten auf
die Reise begleitet, dann hätte er zugelassen, dass dieser einen
Reichtum mehrte, der ihm nicht zustand. Er verzog griesgrämig
das Gesicht, als sich eine Spur Reue zu dem Unwohlsein gesellte. Wie
hätte er denn sonst handeln sollen, um sein Erbe
zurückzugewinnen?, fragte er sich zum wohl tausendsten Mal seit
die Gewissensbisse angefangen hatten ihn zu plagen. Es hatte keinen
anderen Weg gegeben. Und damit fertig! Er kniff die Augen zusammen
und ritt die staubige Straße entlang, die in einiger Entfernung
in das Dorf Katzenstein mündete. Mit aller Macht konzentrierte
er sich auf die Wärme der Sonne auf seiner Haut, bis es ihm
schließlich gelang, seine Ruhe zurückzugewinnen. Kaum
hatten sich die Ängste ein wenig gelegt, fielen ihm einige
Unstimmigkeiten auf. Warum stand das Tor in der Dorfmauer
sperrangelweit offen? Und warum waren die Felder zum Teil noch nicht
abgeerntet? Misstrauisch geworden richtete er sich im Sattel auf und
ließ den Blick über seine Ländereien schweifen. Etwa
jede dritte Hufe wirkte vernachlässigt – die goldenen
Ähren von Unkraut erstickt. Was ging hier vor? Wenngleich sein
Hengst schnaubend protestierte, trieb er ihn erneut zu einer
schnelleren Gangart an. Trabend näherte er sich dem Dorfgraben,
an den die Dorfmauer anschloss, und ritt in die Siedlung ein. Wie ein
bleierner Mantel lag die Hitze des Tages über den strohgedeckten
Dächern der Bauernhäuser, die ausgestorben und verlassen
wirkten. Sollten etwa noch mehr seiner Leute zum Betteln in die
umliegenden Städte geflohen sein, obwohl empfindliche Strafen
darauf standen? Verdrossen lenkte er seinen Hengst auf den Dorfplatz
zu, wo sich die Behausung des Dorfmeiers befand. Dieser, einer der
wenigen Freien in Katzenstein, übte für Otto wichtige
Funktionen aus und organisierte das Hofgericht. Wenn jemand wusste,
was hier geschehen war, dann er. Wenn er nicht ebenfalls inzwischen
an einem anderen Ort sein Glück suchte. Mit sinkendem Mut
passierte er halb zerfallene Ställe und Scheunen und sah sich
nach einem Lebenszeichen um. Doch erst der helle Klang eines
Schmiedehammers verriet ihm, dass zumindest noch einer der Bewohner
anwesend sein musste. Neugierig dirigierte er sein Reittier nach
links und tauchte in eine enge Gasse ein, an deren Ende die Schmiede
schwarzen Rauch in den Sommerhimmel spuckte. Der beißende
Gestank von heißem Eisen und verbranntem Holz vermischte sich
mit einem würzigen Geruch, der seltsam fehl am Platze wirkte. Er
hatte gerade die Umrisse des Schmiedes ausgemacht, als sich eine
weitere, beinahe kindlich schlanke Gestalt aus dem Hintergrund löste.
Einige Augenblicke redete diese auf den Mann ein, legte ihm dann kurz
die Hand auf die Schulter und zog ein löchriges Tuch über
den Kopf. Dann griff sie nach einem Korb und trat hinaus ins Freie.
Ottos Herzschlag verlangsamte sich. Trotz der ziemlichen
Kopfbedeckung umfloss eine Flut rostroter Locken ein bleiches
Gesicht, aus dem grasgrüne Augen hervorstachen. Eine kleine,
gerade Nase unterstrich den elfenhaften Eindruck, der durch den
federnden Schritt der jungen Frau verstärkt wurde. Ehrerbietig
und dennoch stolz neigte sie flüchtig den Kopf zum Gruß
und huschte an Otto vorbei, der ihr wie vom Donner gerührt
nachstarrte. Wer war dieses bezaubernde Geschöpf? Obwohl er
Frauen wegen ihrer Schwäche und
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