Die Heilerin des Sultans
hatten. Nachdem er den Löffel von seinem Gürtel
losgemacht hatte, tat Falk es den anderen jungen Männern gleich
und ließ sich auf dem Boden nieder. Hungrig stopfte er die
erstaunlich wohlschmeckende sämige Suppe in sich hinein, während
er mit leerem Blick vor sich hinstarrte.
Wie
um alles in der Welt sollte er jemals von hier entkommen?, fragte er
sich mutlos. Gefangen hinter unzähligen Mauern, schien er sich
zwar nicht – wie von Antonio befürchtet – in der
Hölle zu befinden, aber an eine Flucht war nicht zu denken. Die
gewaltige Angst, die ihn während des beschwerlichen Marsches
beherrscht hatte, war zu einer dumpfen Empfindung tief in seinem
Inneren abgeflaut. Dennoch machte er sich keine Sekunde etwas vor. Er
befand sich in einer Lage, die schlimmer kaum sein könnte.
Tausende von Meilen von seiner Heimat entfernt, würde er
vermutlich den Rest seines Daseins als Sklave eines Ungläubigen
fristen – wenn Gott nicht irgendwann ein Einsehen mit ihm
hatte. War dies die Strafe dafür, dass er nicht mehr dafür
getan hatte, seine Eltern aus dem Fegefeuer zu befreien? Wollte der
Herr ihm die gleichen Qualen aufbürden, die sein Vater und seine
Mutter wegen seiner Untätigkeit erdulden mussten? Das Kreuz an
seinem Hals erschien ihm mit einem Mal schwer wie Blei. Er musste die
Prüfung bestehen. Nur dann würde er sich würdig
erweisen, vom Allmächtigen erlöst zu werden. Er sandte ein
stilles Gebet zum Himmel und duckte sich, als einer der Soldaten
hinter ihm vorbei in das Gebäude rauschte. Hungrig kratzte er
auch den letzten Rest des Eintopfes zusammen und leckte den Löffel
ab. Als er sich vorbeugte, schlug sein Siegelring klimpernd gegen das
Kruzifix, und urplötzlich keimte das Misstrauen gegen seinen
Onkel wieder in ihm auf. War Otto von den Seeräubern erschlagen
worden? Oder hatte er tatsächlich mit dem Venezianer einen Plan
ausgeheckt und sich vor dem Überfall in Sicherheit gebracht –
eine Vermutung, die Falk für immer wahrscheinlicher hielt. Er
kaute nachdenklich an einem Fingernagel. Fragen über Fragen. Er
war beinahe froh, als ein weiterer scharfer Befehl erklang, der ihn
zurück auf die Beine brachte.
»Ausbildungseinheit
eins bis fünf begibt sich sofort zum Bogenschießen!«,
bellte ein kräftig gebauter Soldat. »Die Einheiten sechs
bis zehn zum Unterricht!« Er machte auf dem Absatz kehrt.
Während einige der jungen Männer verunsicherte Blicke
tauschten, erschien der Lehrer Ünsal – gefolgt von vier
weiteren Eunuchen – wieder auf der Bildfläche. »Ihr
kommt mit mir«, sagte er mit sanfter Stimme an Falk und seine
Kameraden gewandt und führte sie in das Gebäude zurück.
Da inzwischen die Sonne den Horizont erklommen hatte, wichen die
erträglichen Temperaturen der Nacht bereits wieder der sengenden
Hitze, und Falk atmete auf, als ihn die dämmerige Kühle des
Gebäudes verschluckte. Doch so wie die Tritte ihrer Stiefel von
den kahlen Wänden zurückgeworfen wurden, hallte die Rede
des Ausbilders in seinem Kopf nach. Der rechte Glaube! Er rümpfte
die Nase. Als ob diese Lästerer wussten, welcher Glaube der
richtige war! Mit einem unbehaglichen Gefühl folgte er den
anderen und beschloss, die Ohren vor den Lügen der Ungläubigen
zu verschließen. Ganz gleich, womit man ihm drohte, er würde
niemals seinen Gott verraten! Nach einiger Zeit erreichten sie das
Ende eines langen Korridors, den eine hohe, vom Alter dunkle Tür
abschloss. Diese öffnete sich wie von Zauberhand, kaum hatte der
Lehrer davor haltgemacht, und zwei etwa siebenjährige Knaben
traten aus dem Raum. Sie verneigten sich tief vor dem Eunuchen und
stoben auf seinen Wink hin davon. »Jeder von euch nimmt sich
eine dieser Tafeln«, erklärte der Alte und schwang sich
auf eine Art Pult. Gänzlich unlehrerhaft ließ er die Beine
baumeln und beugte sich vor, um seine Schützlinge zu beäugen.
Nachdem auch das letzte Rascheln und Flüstern verstummt war und
die Knaben halb erwartungsvoll, halb ängstlich zu ihm aufsahen,
räusperte er sich. »Die türkische Sprache ist einfach
zu erlernen«, sagte er ruhig und legte die Fingerspitzen
aneinander. »Stellt euch einfach vor, ihr reiht Perlen auf
einer Kette aneinander. Für jede neue grammatikalische
Information fügt ihr eine weitere Perle hinzu. Da ihr alle
Latein sprecht, dürfte es euch nicht schwerfallen, euch schon
bald auf Türkisch zu unterhalten.« Er hob den Zeigefinger.
»Aber es ist auch viel Arbeit. Ihr müsst viele Wörter
in sehr kurzer
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