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Die Heilerin des Sultans

Die Heilerin des Sultans

Titel: Die Heilerin des Sultans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Falschheit sein ganzes Leben
lang verachtet hatte, schlug dieses Wesen ihn so sehr in seinen Bann,
dass er alle Geringschätzung auf der Stelle begrub. Es dauerte
einige Momente bis er sich so weit gefasst hatte, dass er sich aus
dem Sattel schwingen konnte. Die Sorgen über den Verbleib seiner
Hörigen schon fast vergessen schüttelte er die Verwirrung
ab und betrat die Schmiede.

Kapitel 46
     
    Bursa,
Hochsommer 1400
     
    Der kurze
Ruf genügte, um die jungen Männer auffahren zu lassen.
Während sein Verstand noch damit kämpfte, sich zu
orientieren, griff Falk sich instinktiv mit der Hand zwischen die
Beine und atmete erleichtert auf. Alles war noch an seinem Platz –
anders als in dem schrecklichen Traum, aus dem der Befehl des
Ausbilders ihn gerissen hatte. Die Wunde schmerzte noch, aber es
bestand kein Zweifel, dass er noch ein ganzer Mann war. Widerwillig
setzte er die Füße auf den Boden und versuchte, das
Durcheinander in seinem Kopf zu ordnen. Wie die anderen, hatte auch
er die Nacht auf einem schmalen, harten Lager verbracht, das nach
altem Schweiß und verfaultem Stroh stank. Wund, zerschlagen und
übermüdet rappelte er sich auf und schlüpfte hastig in
Hemd, Hose und Jacke, um den Unwillen des strengen Janitscharen nicht
zu erregen. Während er an Schnürungen nestelte und Haltung
annahm, dachte er schaudernd an den Moment des überwältigenden
Entsetzens zurück, als sich die Hand des Arztes um ihn
geschlossen hatte. Ein kalter Schauer lief seinen Rücken hinab.
Anstatt ihn wie befürchtet zu entmannen, hatte der Hekim ihm
und den anderen Knaben jedoch lediglich die Vorhaut entfernt und die
heftig blutenden Einschnitte mit einem seltsam riechenden Brei
bestrichen, den Falk bei der ersten Gelegenheit abgekratzt hatte.
Daraufhin hatte der Mann ihn in die Hände eines Aufsehers
übergeben, der die Neuankömmlinge in Gruppen zu je fünfzehn
Mann aufgeteilt und in ein steinernes Gebäude getrieben hatte.
Vorbei an bunt gefliesten Wänden, vergoldeten Türen und
Springbrunnen war Falk durch mehrere Höfe geführt worden,
bis sie schließlich in einem Teil des Baus angelangt waren, der
sich durch Schmucklosigkeit und Nüchternheit auszeichnete. Durch
eine hohe Mauer von den Werkstätten der Schwert- und
Bogenmacher, Sattler, Schmiede, Schuster und Schneider getrennt,
wirkte dieser Bereich des Komplexes trostlos und – in seiner
Kahlheit – bedrohlich. Mühsal, Angst und Schmerz schienen
beinahe greifbar in der schwülen Luft zu liegen, die Falk den
Schweiß aus den Poren treten ließ.
        »Das
ist Ünsal, Euer Lehrer«, donnerte der Ausbilder auf
Lateinisch und deutete auf einen blau Gewandten, dessen Kopf ein
hoher roter Hut zierte. »Er wird Euch die türkische
Sprache beibringen. Ihr werdet ihm gehorchen!« Damit trat er in
den Hintergrund und übergab das Wort an den Alten, dessen
braun-grüne Augen die Jungen aufmerksam musterten. »Ihr
alle sprecht Latein?«, fragte er. Nachdem die Knaben genickt
hatten, fuhr er schmunzelnd fort: »Die ersten Wochen werdet ihr
ausschließlich unter meiner Obhut zubringen.« Das Lächeln
verschwand. »Sobald ihr genug Türkisch gelernt habt, um
die Befehle zu verstehen, beginnt eure militärische Ausbildung.«
Der Aufseher trat wieder in den Vordergrund. Ȇnsal wird
euch auch im rechten Glauben unterweisen. Ihr seid allen Älteren
zu absolutem Gehorsam verpflichtet. Wer dagegen verstößt,
wird bestraft. Wer flucht oder sich mit anderen prügelt, dessen
Fußsohlen werden mit der Falaka geschlagen, bis sie bluten.
Wer sich nicht sauber hält, wird zum Strafdienst in die Küche
versetzt.« Er hielt einen Moment inne. »Der Sultan, der
Schatten Gottes auf Erden, ist euer oberster Herr. Ihr werdet euer
bisheriges Leben vergessen und eure Zukunft voll und ganz dem Dienst
des Padischahs widmen.«
Irgendwo erklang eine tiefe Glocke. »Das ist das Zeichen, sich
zur Mahlzeit zu versammeln. Jede Gruppe besitzt einen Kazan
– einen Suppenkessel –
der niemals unbewacht sein darf. Die Nahrung zu verweigern bedeutet,
gegen den Sultan aufzubegehren, ihr solltet also nicht einmal daran
denken.« Mit diesen Worten klatschte er in die Hände und
befahl den jungen Männern, sich in den Hof zu begeben. Dort
stand etwa ein Dutzend auf Hochglanz polierter Kupferkessel in Reih
und Glied, vor denen sich je ein Janitschare aufgebaut hatte. Mit
einer hölzernen Kelle schaufelten die Suppenverteiler einen
dicken Eintopf in die Schalen, welche die Knaben bei ihrer Ankunft
erhalten

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