Die Heilerin des Sultans
Denn
geschlagen geben würde er sich ganz gewiss nicht! Er musste nur
sichergehen, dass dieser Lutz aus dem Weg geräumt wurde, bevor
er sich verplappern konnte. Er schnaubte – immer noch wütend
über sich selbst. Warum war er auch so dumm gewesen, den Kerl zu
unterschätzen? Hätte er von Anfang an den Feind in
ihm gesehen, der er war, dann hätte er dafür sorgen können,
dass auch er vom Erdboden verschwand, als habe er niemals existiert.
In
halsbrecherischem Galopp fegte er vorbei an brachliegenden Feldern,
die mannshoch mit Unkraut und Disteln bewachsen waren. Eine große
Zahl der Dörfer, an denen er vorbeikam, war verlassen, und
vielerorts hatten sich Schafherden auf den wüsten Äckern
ausgebreitet. Das Blöken der trägen Tiere vermischte sich
mit dem Donnern der Hufe und den Rufen der Hirten. Je mehr sich der
Katzensteiner seinen eigenen Ländereien näherte, desto
stärker wurde die Beklemmung, die allmählich den Zorn
verdrängte. Wenn seine eigenen Dörfer und Äcker in
einem ähnlich jämmerlichen Zustand waren wie die der
anderen Herren, dann stellte die Drohung Lutz Metzlers nicht sein
einziges Problem dar. Sicherlich war er – auch nach der
Begleichung seiner Schulden – immer noch ein reicher Mann. Aber
er hatte keineswegs vor, diesen Reichtum damit zu vergeuden, die
mangelnden Abgaben seiner Bauern auszugleichen. Ungehalten jagte er
weiter über Stock und Stein, bis schließlich die Umrisse
seiner Burg am Horizont auftauchten. Wie ein mahnender Zeigefinger
ragte der Bergfried in den Himmel, und zu seiner Zufriedenheit
flatterte das Wappen der Katzensteiner im böigen Wind. Plötzlich
wurde ihm klar, dass ein Teil von ihm befürchtet hatte, seinen
Stammsitz genauso verlassen vorzufinden wie all die Höfe und
Siedlungen, an denen er im Laufe des Tages vorbeigekommen war.
Befremdet über diese Ahnung zügelte er den Apfelschimmel,
da das Tier allmählich ermüdete. »Was für ein
Narr du doch bist«, murmelte er und verscheuchte eine
aufdringliche Bremse, die sich immer wieder auf seinem Bein
niederlassen wollte. Warum hätten seine Leute Katzenstein
verlassen sollen? Hatte er vor seiner Abreise nicht eigens Geld zur
Bezahlung des Gesindes dagelassen? Er zog eine Grimasse, da er in der
Zwischenzeit froh darüber war, auf seinen Verwalter gehört
zu haben. Als der Wald zu seiner Rechten allmählich in Wiesen,
Weiden und Felder überging, sog er beinahe wehmütig den
Duft des warmen Wacholders ein. Wie er diesen Geruch vermisst hatte!
Kein noch so teures Aroma, keine noch so ferne Stadt konnte das
Gefühl erzeugen, das ihn stets ergriff, wenn er die mächtigen
Mauern seiner Heimatburg erblickte. Er legte reumütig die Stirn
in Falten, als er sich daran erinnerte, wie er Katzenstein verwünscht
hatte, als er das erste Mal unter dem Dach seines Neffen geschlafen
hatte.
Der
Gedanke an seinen Neffen bescherte ihm einen säuerlichen
Geschmack im Mund. Als habe der Verrat an dem Burschen irgendetwas an
ihm verändert, reagierte sein Körper stets mit einem Anflug
von Unwohlsein, wenn er an ihn dachte. Seine Miene verfinsterte sich
weiter. Warum hatte der venezianische Kapitän seine
geschmacklosen Bemerkungen nicht für sich behalten können?
»Wenn Ihr Eure Seele verkauft, dürft Ihr Euch nicht
wundern, wenn der Teufel irgendwann seinen Preis fordert!«,
hatte der Italiener mit einem unheimlichen Lachen verkündet, als
Otto halb tot vor Seekrankheit in einer Ecke gekauert hatte. »Findet
Euch damit ab«, war der Venezianer fortgefahren, als ob er den
entsetzten Gesichtsausdruck des Ritters nicht bemerkt hätte.
»Der Verrat an Eurem Neffen hat Euch einen Platz direkt im
Herzen der Hölle gesichert!« Noch immer standen Otto die
Nackenhaare auf, wenn er an diese Aussage zurückdachte. »Ich
bin wenigstens nur ein Dieb und Räuber«, hatte der Seemann
scheinbar genüsslich weiter in dieselbe Kerbe gehauen. »Bis
in alle Ewigkeit von Schlangen gebissen, zu Asche zerfallen und
wieder auferstehen zu müssen, erscheint mir harmlos im Vergleich
zu dem, was Euch erwartet.« Sein Lachen war Otto durch Mark und
Bein gegangen. Bei der Erinnerung daran überfiel ihn eine
ähnliche Übelkeit wie die, die ihn an Bord des Schiffes
niedergestreckt hatte. Mit einem mühsamen Schlucken verhinderte
er, dass ihm bittere Galle in die Kehle stieg. »Bis zum Kopf in
einem See eingefroren zu sein – direkt neben Luzifer selbst«,
hatte ihn der Italiener weitergequält, »das würde
selbst mir Angst einjagen!«
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