Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Heilerin des Sultans

Die Heilerin des Sultans

Titel: Die Heilerin des Sultans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
Vom Netzwerk:
Zeit lernen. Deshalb hat der Agha mir befohlen, Faulheit auf
das Härteste zu bestrafen.« Er wies auf einen fingerdicken
Stock, der in einer Ecke lehnte. »Zwingt mich nicht dazu, ihn
zu benutzen«, bat er, und einen Moment lang hatte Falk den
Eindruck, dass es ihm mit dieser Bitte ernst war. Der Eunuch
räusperte sich erneut. »Lasst uns mit einem der
wichtigsten Verben anfangen. Dem Wort »leben«. Sprecht
mir nach:
     
    ich
lebe               yascharüm
    du
lebst               yascharsyn
    er/sie/es
lebt        yaschar
    wir
leben             yascharyz
    ihr
lebt                yascharsyz
    sie
leben              yascharler.«
     
    Diesem Verb
folgten im Laufe des langen Vormittags so viele weitere, dass Falk
schon bald den Überblick verlor. Obwohl er sich bemühte,
jedes neue Wort – so wie er es verstand – auf der
Wachstafel festzuhalten, die der Lehrer verteilt hatte, gab er
irgendwann auf und schloss die Augen, um dem Klang der fremden
Sprache zu lauschen. Entgegen der Abneigung, welche er für den
Eunuchen empfinden wollte, ertappte er sich dabei, wie er versuchte,
den Wohlklang seiner Stimme zu imitieren. »So ist es richtig!«,
begeisterte sich dieser, als Falk einen Satz nachsprach, an dem seine
Mitschüler scheiterten. »Wie ist dein Name?« Ohne
dass Falk es bemerkt hatte, war Ünsal zu ihm getreten und hatte
sich vor ihm auf den Fersen niedergelassen. »Falk«,
erwiderte er kurz angebunden. »Ein schöner Name«,
gab der Lehrer zurück und blickte den jungen Mann forschend an.
Die braun-grün gesprenkelten Augen schienen all seine
Geheimnisse zu ergründen. Tiefe Falten gruben sich in seine
Wangen, als er den Mund zu einem Lächeln verzog. »Wenn du
aufhörst, gegen dein Schicksal anzukämpfen, wird die Last
leichter.« Er hob den Zeigefinger. »Ich lese Trauer in
dir. Trauer ist ein eigennütziges Gefühl. Lass sie los und
vergiss, wer du einmal warst. Dann verblasst der Schmerz.«
Falks Miene versteinerte sich. Das werde ich niemals!, dachte er
störrisch und senkte den Blick. Eher sterbe ich!

Kapitel 47
     
    Bursa,
Hochsommer 1400
     
    Mit einem
heiseren Wutschrei schleuderte Bayezid die Brieftaube von sich,
sodass der Vogel mit einem dumpfen Geräusch von der Wand
abprallte. Regungslos blieb das perlgraue Tier auf den Fliesen liegen
– die Augen stumpf und blicklos. »Was für ein Sohn
ist das, der eine befestigte Stadt nicht einmal lange genug halten
kann, bis Verstärkung eintrifft?!«, tobte der Sultan und
zog das Krummschwert, um bebend vor Zorn auf die tote Taube
einzuhacken. Wie ein Wahnsinniger ließ er die Klinge immer und
immer wieder auf das Tier niedersausen, bis Blut und Federn seine
Kleidung besudelten. Als kaum mehr etwas von dem Vogel übrig
war, hielt er schwer atmend inne und starrte auf den Kadaver hinab.
Eine unheimliche Stille erfüllte den Raum, in dem der Diwan
tagte, und selbst die ältesten unter den Wesiren wagten nicht,
sich zu regen. Jeder einzelne der versammelten Würdenträger
schien die Luft anzuhalten und darauf zu warten, dass der Sultan sich
wieder beruhigte. Während sein Puls sich allmählich
verlangsamte, rammte Bayezid die Waffe zurück in die Scheide und
knurrte: »Achtzehn Tage! Ganze achtzehn Tage hat es dieser
Versager geschafft, einen lahmen Tataren in Schach zu halten!«
Seine Gesichtsfarbe spielte ins Purpurne. Zähneknirschend las er
den Brief seines Sohnes Suleyman ein zweites Mal durch.
     
        » Erhabener
Vater,
     
        vergebt
mir, aber ich muss Euch schlechte Nachricht zukommen lassen. Sivas
ist gefallen, der Prinz von Kharput von Eurem Feind befreit. Es war
eine gewaltige Übermacht, gegen die selbst die todesmutigsten
Ausfälle nutzlos blieben. Achtzehn Tage lang hat Timur Lenk die
Mauern untergraben und Pfähle unter sie getrieben. Diese hat er
mit Pech übergossen und angezündet, und all unsere
Bemühungen, die Feuer zu löschen, waren vergeblich.
        Als
die Türme einstürzten, blieb uns nichts anderes übrig,
als mit dem Tataren zu verhandeln. Wie der unwürdige Sohn einer
Steppennomadin hat er sein Wort gegeben, niemandes Blut zu vergießen,
nur um es wieder zu brechen. Viele von uns konnten ihre Freiheit
erkaufen, aber viertausend Reiter mussten wegen seiner Falschheit ihr
Leben lassen. Kaum stand die Stadt in Flammen, hat er diese Tapferen
lebendig begraben lassen und uns gezwungen, dabei zuzusehen.
Diejenigen, die zu arm waren, sich freizukaufen, wurden

Weitere Kostenlose Bücher