Die Heilerin des Sultans
Vorsichtig
trug sie die kühlende, stark nach Weihrauch und Mastix riechende
Salbe auf und versuchte, nicht daran zu denken, was alles passieren
konnte. Hatte sie nicht bereits einmal eine ähnliche Wunde
erfolgreich behandelt? War der Junge mit dem hässlichen
Knochenbruch nicht vollkommen genesen? Und war es nicht einfacher,
eine reine Fleischwunde zu heilen als eine Verletzung, die mit
Knochensplittern verunreinigt war? Mit der feindseligen Anwesenheit
des Hekims im
Nacken griff sie nach einigen Minuten nach einer Binde und bedeckte
die blutige Masse mit dem trügerisch weißen Stoff. Wie
täuschend leicht es war, den Eindruck der Ganzheit wieder
herzustellen, dachte sie und ertappte sich dabei, wie sie nach der
Hand des jungen Mannes griff. »Ich muss seinen Puls fühlen«,
murmelte sie und legte Zeige- und Mittelfinger auf das Handgelenk des
Patienten. Erleichtert stellte sie fest, dass sein Herz zwar schwach,
aber regelmäßig schlug. Da der Helfer den Schlafschwamm
inzwischen nicht mehr auf das Gesicht des jungen Mannes drückte,
konnte Sapphira ihn genau aus der Nähe betrachten. Während
sie vorgab, auf seinen Atem zu lauschen, tasteten ihre Augen die
dichten Brauen, den energischen Mund und die Grübchen an Kinn
und Wange ab. Was für eine Farbe seine Augen wohl hatten?,
fragte sie sich, aber ihre Gedanken wurden rüde von dem Hekim unterbrochen. »Ist noch
nicht alles getan?« Seine Stimme troff vor Zynismus, und für
einen kurzen Moment wünschte Sapphira sich, ein Mann zu sein und
ihm die Faust in seine höhnische Fratze zu rammen; die zu hohen
Wangenknochen zu brechen, zu sehen wie sich die glänzenden und
dennoch stumpfen Augen überrascht weiteten und das Flackern um
ihn herum in Bewusstlosigkeit erlosch. Stattdessen zupfte sie noch
ein paar Mal an den Binden, bevor sie sich mit zähen Bewegungen
erhob. Es war beinahe als hielte eine unsichtbare Macht sie fest.
Widerwillig riss sie den Blick von dem friedlichen Gesicht los, da
sie genau wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis es
sich in eine Maske des Schmerzes verwandeln würde. »Ihr
solltet ihn waschen, solange er noch nicht wieder bei sich ist«,
riet sie und legte Salbentiegel, Binden, Amurca und Mandragorasaft auf einem
Tisch neben dem Bett ab. Und für ihn beten, fügte sie in
Gedanken hinzu. Da der Hekim sie jedoch von oben herab
musterte und ein Gesicht machte, als habe er etwas Fauliges gegessen,
griff sie nach ihrem Korb und machte Anstalten, sich zu entfernen.
»Und du solltest bei deinem nächsten Besuch darauf achten,
dein Gesicht vor den Blicken der Burschen zu verbergen«,
schickte er ihr bissig hinterher.
Die
Wut, die bei dieser Bemerkung in ihr explodierte, überraschte
sie selbst. Um nichts zu tun, das sie später bereuen würde,
zwang sie sich mit steifen Bewegungen, ihren Weg fortzusetzen, aber
das Knallen der Tür ließ die Wände erzittern. Mit
langen Schritten flog sie am Reich der Hebamme vorbei, ignorierte die
fragenden Blicke einiger Helferinnen und suchte Zuflucht im
Arzneilager. Dort säuberte sie bebend die blutigen Instrumente
und unterdrückte ein Schluchzen, als sich der Zorn aus heiterem
Himmel in Traurigkeit verwandelte. Wie ein Dorn bohrte sich die
furchtbare Angst in ihr Herz, dass die Kunst der Tabibe nicht ausreichen könnte,
das Leben des jungen Mannes zu retten. Eines der Skalpelle fiel mit
einem Klirren zu Boden, und als sie sich danach bückte,
versagten ihr die Beine den Dienst. Wie ein Häufchen Elend
sackte sie zusammen und ließ sich von ihrem Kummer davontragen.
Sie wusste nicht, wie viel Zeit verstrichen war, als die Tränen
endlich versiegten und sich der Wirrwarr der Gefühle allmählich
legte. Erschöpft tastete sie nach dem winzigen Instrument und
kam zitternd zurück auf die Beine. Das Herz immer noch schwer
wie Blei, ließ sie ihre Hände die wohlbekannte Arbeit tun,
während sie sich einzureden versuchte, dass ihre Gefühle
für den jungen Rekruten auf nichts anderem als Mitleid fußten.
Es war die Farbe! Würde sie nicht das gleiche Blau um ihn herum
wahrnehmen wie um Yahya … Der Gedanke verlor sich. Sie biss
die Zähne aufeinander und wischte sich die Tränen aus dem
Gesicht. Sie musste ihr Herz gegen alle anderen Empfindungen
verhärten und nur den Patienten in ihm sehen! Alles andere würde
nichts als Unheil nach sich ziehen.
Kapitel 57
Oliveras
Herz drohte, ihr die Brust zu sprengen. Nachdem Bayezid sie vor zwei
Tagen in ihren Gemächern hatte einsperren lassen,
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