Die Heilerin des Sultans
hatte sie
nichts mehr von ihm gehört. Und obwohl ihr das Gefühl in
ihrer Magengrube etwas anderes sagte, hoffte sie, dass sich seine Wut
inzwischen gelegt hatte. Während sie rastlos auf und ab lief,
betastete sie die Schwellung in ihrem Gesicht, die von Bayezids
Handrücken herrührte. Zuerst hatte sie befürchtet, das
Kind zu verlieren, nachdem er ihr die Faust in den Bauch getrieben
hatte. Aber die leichte Blutung war nach wenigen Stunden wieder
abgeflaut. »War es das, was du gesehen hast!«, hatte sie
die griechische Zofe angeschrien und sie hysterisch geohrfeigt.
»Stirbt mein Sohn durch die Hand seines eigenen Vaters?«
Doch das Mädchen hatte lediglich hilflos den Kopf geschüttelt
und still geweint. »Ich hätte sie auspeitschen lassen
sollen«, murmelte Olivera, doch dafür war es jetzt zu
spät. Außer den beiden schwarzen Eunuchen, die ihre Tür
bewachten, war sie alleine, und langsam aber sicher verstärkte
die ungewohnte Einsamkeit ihre Ängste. Wann würde Bayezids
Zorn verrauchen? Wann würde er sich damit abfinden, dass sie
seinen Thronfolger in sich trug? Schritte näherten sich ihren
Gemächern und kurz darauf ertönte ein unverkennbarer Bass.
»Öffnet die Tür!« Furcht stieg in Oliveras
Kehle auf und ließ sie an die Wand zurückweichen. Fahrig
rückte sie das Diadem auf ihrem Haar zurecht und zupfte an ihrem
Kleid, sodass die weichen Rundungen ihrer Brust deutlich zu sehen
waren. Nur wenn sie keine Angst zeigte und Bayezid mit ihrer
Sinnlichkeit betörte, würde es ihr gelingen, wieder Gewalt
über ihn zu gewinnen. Dessen war sie sich nur allzu bewusst. Als
die Tür unter Poltern aufsprang, schluckte sie daher die
Bitterkeit in ihrer Kehle und schwebte ihrem Gemahl entgegen. Mit
einem gezwungenen Lächeln verneigte sie sich tief vor ihm, und
bevor sich ihre Lider senkten, nahm sie aus dem Augenwinkel die
Anwesenheit der Tabibe wahr. Einen Moment lang hoffte sie, die
Ärztin sei gekommen, um sicherzustellen, dass der Frucht seiner
Lenden nichts zustieß. Aber die Härte in Bayezids Augen
erstickte diese Hoffnung im Keim.
»Komm
her!«, herrschte er sie an und winkte gleichzeitig die Ärztin
zu sich. »Gibt es eine bestimmte Methode, diesen Trank
einzuflößen?« Anstatt dem Befehl Folge zu leisten,
wich Olivera entsetzt vor ihm zurück. »Denk nicht einmal
daran, dich zu wehren«, fauchte Bayezid und entkorkte das
kleine Glasgefäß, welches die Tabibe ihm gereicht hatte. »Je
mehr davon getrunken wird, desto größer ist die Wirkung«,
erklärte die Heilerin leise. »Nun, dann sollte sie wohl
die ganze Flasche leeren!« Ein kalter Funken glomm in Bayezids
Augen, als er sich Olivera näherte und sie mit einer
blitzschnellen Bewegung am Hals packte. »Du hättest auf
meine Warnung hören sollen«, zischte er und presste die
Finger in ihre Wangen. Während Olivera verzweifelt versuchte,
sich gegen seinen Griff zur Wehr zu setzen, zwang er mit brutalem
Druck ihre Kiefer auseinander und schob den Hals der Flasche in ihren
Mund. Dann hielt er ihr die Nase zu und riss ihren Kopf nach hinten,
sodass ihr nichts anderes übrig blieb, als die ekelhafte
Flüssigkeit zu schlucken. Ölig und gallenbitter fand der
Trank seinen Weg, bis kein einziger Tropfen der gelben Medizin mehr
übrig war. Als der Sultan sie losließ, sank Olivera
hustend und spuckend auf die Knie und rang nach Luft. »Es hat
keinen Sinn, sich zu erbrechen«, stellte Bayezid ungerührt
fest und kehrte ihr den Rücken. »Die Tabibe hat mir versichert, dass die
Wirkung umgehend eintritt. Ist es nicht so?« »Ja,
Erhabener«, bejahte die Heilerin tonlos. »In wenigen
Stunden wird das Kind vom Körper abgestoßen.« Wie
durch das Tosen eines Wasserfalls gedämpft vernahm Olivera, dass
sich die Männer zurückzogen, und schrak zusammen, als sich
jemand neben sie kniete. »Ich werde bei Euch bleiben, bis es
vorüber ist«, sagte die Tabibe und legte tröstend den Arm um ihre Schulter.
Kapitel 58
Burg
Katzenstein, Spätherbst 1400
»Fahre
in mich, Herr der Finsternis, Luzifer, Fürst der Hölle.«
Ottos Unwohlsein verstärkte sich, als Helwig den Handschuh, den
sein Knecht aus Ulm mitgebracht hatte, in die Mitte des gezeichneten
Pentagramms legte. Dankbar darum, allein im Obergeschoss des Palas zu
sein, verfolgte er, wie sie eine Feder in Hühnerblut tauchte und
den Handschuh damit bespritzte. Kleine, rote Punkte vermischten sich
mit der weißen Kreide des fünfzackigen Sterns, der –
anders als im Gebrauch der Kirche –
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