Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Heilerin des Sultans

Die Heilerin des Sultans

Titel: Die Heilerin des Sultans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
Vom Netzwerk:
Kirchturm des nächsten Dorfes sehen
konnte. Beinahe beschwingt machte er sich auf den Heimweg, und nicht
einmal die schneidende Kälte konnte ihn davon abhalten, seinen
Hengst zu einem gestreckten Galopp anzutreiben. Zwei Stunden nach
seinem Aufbruch kehrte er nach Katzenstein zurück, über dem
inzwischen eine Wolke aus dichtem Rauch stand. Offenbar hatten seine
Bauern genug Feuerholz, dachte Otto mit einem Anflug von Ärger,
da er sich von seinem Verwalter dazu hatte überreden lassen, die
Abgaben der Hörigen zu verringern. Genug Feuerholz und genug zu
essen, um während des Winters Kraft zu sammeln für das
Frühjahr, ermahnte ihn seine Vernunft. Schwache und kranke
Bauern nützten ihm nichts. Auch wenn er schon bald reicher sein
würde, als er jemals zu träumen gewagt hatte. »Da ist
er, der Narr von Helwig, der Hure!« Die geflüsterten Worte
schienen von nirgendwoher zu kommen. »Helwig, die Hexe. Helwig,
die Hure.« Zorn flammte mit solcher Macht in Otto auf, dass er
um ein Haar den Steigbügel verloren hätte, als er sich im
Sattel umwandte. »Wer wagt es?«, knurrte er, zügelte
sein Reittier und zog schäumend vor Wut das Schwert. »Zeig
dich!« Doch kein Knirschen, kein Knacken, kein einziger Laut
verriet, dass er nicht allein war auf der verwaisten Straße.
Auch die hölzernen Fensterläden der armseligen Katen
bewegten sich kein Haar breit. »Zeig dich!«, brüllte
er erneut, aber außer einem Echo antwortete ihm nichts und
niemand. Schnaubend grub er seinem Apfelschimmel die Fersen in die
Flanken und lenkte ihn durch die engen Gassen, bis er an der anderen
Seite des Dorfes angekommen war. Außer denselben Kindern, die
ihm beim Verlassen von Katzenstein bereits begegnet waren, trieb sich
allerdings niemand im Freien herum, und er gab schließlich
widerwillig auf. Wer wagte es, seine Gemahlin zu beleidigen?, fragte
er sich, während sein Reittier den Anstieg zur Burg erklomm.
Und, viel wichtiger, wer wagte es, sie eine Hure zu nennen? Seine
Kiefermuskeln arbeiteten heftig. Er würde es herausfinden! Und
dann würde derjenige erfahren, was es bedeutete, Otto von
Katzenstein zu verhöhnen!
        Immer
noch verärgert drückte er einem Stallburschen die Zügel
in die Hand und steuerte auf den Palas zu, dessen Wände an
vielen Stellen feuchte Flecken aufwiesen. Wenn dieser Winter ebenso
schneereich und endlos wurde wie der letzte, dann würden schon
bald wieder Schimmelflecken den Putz der Wände verunzieren. Er
seufzte und beschloss, mehr heizen zu lassen, auch wenn dieser Luxus
bedeutete, dass er mehr Holz schlagen lassen musste. In der Halle
angekommen warf er den Umhang über eine Bank und machte sich auf
den Weg zurück in seine Gemächer. Er würde Helwig noch
heute befehlen, alles Nötige für die Reise nach Ulm
zusammenzupacken, damit sie innerhalb der nächsten Tage
aufbrechen konnten. Als er die Kemenate verwaist vorfand, stieg
Beklemmung in ihm auf. Nachdem sie bereits vor Wochen ihre Kräuter,
Tränke und Salben aus der Kate im Wald nach Katzenstein gebracht
hatte, hatte sie sich in einer Kammer unter dem Dach eingerichtet, in
die sie sich öfter zurückzog, als es Otto lieb war. Mit
einem unwohlen Gefühl stieg er die schmale Treppe hinauf bis
unter die Dachsparren, in denen im Sommer Tauben und Schwalben
nisteten. Mit eingezogenem Kopf tastete er sich durch das Halbdunkel,
bis er schließlich an einer von innen verriegelten Tür
anlangte. »Ich bin es«, rief er und hieb gegen das raue
Holz. Als er keine Antwort erhielt, wollte er gerade ein zweites Mal
anklopfen, als sich die Tür öffnete und Helwig im Rahmen
erschien. Wie jeden Tag trug sie ein einfaches schwarzes Kleid, das
sie noch bleicher erscheinen ließ, als sie war. »Gemahl«,
grüßte sie, und einen Moment lang vermeinte Otto etwas in
ihren Augen aufflackern zu sehen. Doch als sie zurücktrat, um
ihn in die Kammer zu lassen, verschwand der Eindruck genauso schnell,
wie er gekommen war. »Pack deine Sachen«, sagte er und
vermied es, all die seltsamen Dinge anzusehen, die sie hier
untergebracht hatte. Katzenbälger, Vogelknochen, getrocknete
Kröten und Wildschweinhauer waren das Harmloseste. Wenn es
stimmte, was sie sagte, enthielten einige der Gefäße
Hirnschale, Wieselblut, Wolfsherzen und Rabeneier. »Es ist
nicht der richtige Zeitpunkt«, wandte sie zu seiner
Überraschung ein. »Ich habe mit unserem Herrn gesprochen.«
Ihre grünen Augen blickten starr auf ein totes Huhn, das in der
Mitte eines Kreidekreises lag. »Erst

Weitere Kostenlose Bücher