Die Heilerin des Sultans
behaupten, dass er eine
ehrbare Tochter aus gutem Hause zur Frau nehmen würde. Ein
mitleidiges Lächeln teilte seine Lippen. Ob Friko, dieses
Weinfass, immer noch im Schoß seiner Magd lag? Anders als seine
Mutter ihn Otto als Kind beschrieben hatte, war sein Onkel keineswegs
Furcht einflößend. Fett und träge, war er mehr am
Inhalt seines Kelches als an Ottos Gemahlin interessiert – was
dem Katzensteiner nur allzu recht war. Wenn es die Witterung
erlaubte, würde Friko schon bald zu seiner eigenen Burg
zurückkehren, und Otto und Helwig dem jungen Eheglück
überlassen.
»Liebster?«
Wärme stieg in ihm auf, als er sich vom Fenster abwandte und
sich neben Helwig auf der Matratze niederließ. »Wohin
gehst du?«, fragte sie und zog ihn zu sich hinab, um ihm die
weichen Lippen auf den Mund zu drücken. Noch immer duftete ihr
Atem nach dem Trank, den sie am Abend bereitet hatte, und Otto sog
gierig die Mischung aus Minze, Kamille und Honig ein. Auch wenn er am
liebsten wieder zu ihr unter die warme Decke geschlüpft wäre,
zwang er sich dazu, standhaft zu bleiben, und machte sich von ihr
los. »Ich reite aus«, teilte er ihr mit. Als sie sich in
den Kissen aufrichtete und die Decke nach unten rutschte, hätte
er seinen Plan allerdings um ein Haar in den Wind geschrieben. »Wenn
die Wege frei sind, können wir schon bald nach Ulm aufbrechen.«
Sie legte die Stirn in Falten und nickte. »Es muss daran
liegen, dass die Distanz zu groß ist«, wiederholte sie
die Erklärung, die ihm einleuchtend erschien. »Der
Schadenszauber hat noch nie versagt. Aber ich habe ihn auch noch nie
aus solcher Entfernung gewirkt.« Otto zurrte den Gürtel
fester und griff nach einem wollenen Mantel. »Wer weiß,
vielleicht ist mein Bote auch belogen worden.« Daran glaubte er
zwar selbst nicht, aber ab und zu versuchte er sich dennoch
einzureden, dass Lutz Metzler sich vor Schmerzen wand und unter
Helwigs Zauber dahinwelkte. »Geduld, Gemahl!«, mahnte sie
und strich sich das Haar aus dem Gesicht. »Ich werde die
Zeremonie täglich wiederholen. Irgendwann ist der Fluch stark
genug, auch die größte Entfernung zu überwinden.«
Otto drückte ihr einen Kuss auf die bleiche Stirn. »Das
Beste ist, du kommst mit mir nach Ulm.«
Schweren
Herzens kehrte er der Verlockung den Rücken und verließ
die Kemenate, um sich wenig später in den Sattel seines treuen
Apfelschimmels zu ziehen. Der Schnee dämpfte den Hall der Hufe,
als er über die Zugbrücke trabte, sich nach rechts wandte
und den Burgberg hinab ins Dorf ritt. Der eintönig graue Himmel
schien viel zu tief über den verschneiten Hügeln zu hängen,
die in der Entfernung mit dem flacheren Land verschmolzen. Die
Oberfläche des kleinen Sees am Fuße des Dorfes wirkte wie
flüssiges Blei – stumpf, zäh und unbeweglich. Ein
kalter Ostwind zupfte an Ottos Kleidern, und schon nach kurzer Zeit
zog er sich die Kapuze tiefer ins Gesicht. In der Nähe des
Dorfgrabens sammelte eine Handvoll zerlumpter Kinder vertrocknete
Äste. Doch als Otto sich ihnen näherte, stoben sie davon
und versteckten sich hinter einer Gruppe Wacholderbüsche.
Feiglinge!, dachte Otto verächtlich und gab seinem Hengst die
Sporen. Da die eisige Kälte ihm die Wangenknochen lähmte,
beugte er sich tiefer über die Mähne des Tieres, dessen
Atem kleine Dampfwölkchen bildete. Nach einer guten
Viertelstunde scharfen Rittes erreichte er das zur Grafschaft
Dillingen gehörige Dorf Dischingen, in dem er vor einer Schenke
absaß. Nachdem er sich die Stiefel abgetreten hatte, betrat er
einen niedrigen, verrußten Raum, in dem ein alter Wirt damit
beschäftigt war, Holzgeschirr zu sortieren. »Herr!«,
rief er überrascht aus. »Das Mahl ist noch nicht fertig.«
Bei der Vorstellung, hier etwas essen zu müssen, rümpfte
Otto die Nase. »Ich bin nicht als Gast hier«, erklärte
er unwirsch und hielt mit einem Fuß die Tür auf, um
frische Luft in den stinkenden Raum zu lassen. »Ich will
wissen, ob die Straße nach Ulm passierbar ist.« Der Wirt
stellte eine Schüssel ab und nickte. »Ja«,
entgegnete er. »Einige Männer sind erst vor Kurzem von
dort zurückgekehrt.« »Gut«, brummte Otto und
überlegte einen Moment lang, ob er den Mann für die
Auskunft belohnen sollte. Doch dann entschied er sich dagegen und
trat wortlos zurück ins Freie.
Um
sich zu versichern, dass der Kerl die Wahrheit gesagt hatte, folgte
er der Straße noch einige Meilen in Richtung Dillingen und
kehrte erst um, als er den
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