Die Heilerin des Sultans
trocknete ihre
Wangen. Warum hatte sie sich überhaupt darauf eingelassen und
ihn ihren Schutzwall durchdringen lassen – wohl wissend, was am
Ende stehen musste? Sie seufzte schwer und schob die Bücher zur
Seite. Verlust. Warum musste alles Gute, alles Reine stets verloren
gehen? Warum konnten die Dinge nicht so bleiben, wie sie waren? Warum
war es nicht möglich, die Zeit anzuhalten, und ihn bis in alle
Ewigkeit dort festzuhalten, wo sie ihn jede einzelne Sekunde jedes
einzelnen Tages sehen, lieben und fühlen konnte?
Und
warum musste der Hekim ihre
Qual verschlimmern, indem er ständig ihre Hilfe in Anspruch
nahm? Die Worte der Tabibe fielen ihr ein. »Er hat
deine Schwäche für den Rekruten erkannt«, hatte diese
gewarnt. »Du bist eine Bedrohung für ihn. Er weiß,
dass er kein guter Arzt ist, aber er will unbedingt der Leibarzt des
Sultans werden.« Sie hatte die Nase gerümpft. »Dass
Bayezid ihn noch nie zu sich gerufen hat, ist ihm ein Dorn im Auge –
genau wie du und ich. Und er wird dich mit Adleraugen beobachten.
Gibst du dir eine Blöße, wird er alles tun, um dich zu
vernichten.« Sie hatte Sapphiras Hände ergriffen und diese
zwischen ihre eigenen genommen. »Ich weiß, dass du deine
Gefühle für den Jungen nicht auslöschen kannst. Aber
du musst sie vor dem Hekim verbergen. Behandle die
anderen Verwundeten mit der gleichen Sorgfalt, mit der du ihn
behandelt hast, dann hat er nichts gegen dich in der Hand.« Und
genau das tat Sapphira, auch wenn es sie jedes Mal beinahe um den
Verstand brachte, Falk zwar von Weitem zu sehen, aber nicht mit ihm
sprechen zu können. Sie stieß einen Seufzer aus und
klappte die Bücher zu. Es hatte keinen Sinn mehr zu lernen. Sie
fühlte sich erschöpft. Wenn sie nicht vor Schwäche
umfallen wollte, musste sie schlafen. Müde warf sie sich ihren
warmen Mantel um die Schultern, löschte die Öllampen im
Arzneilager und schlich den Korridor zwischen den Betten entlang, um
die Kranken nicht zu wecken. Vor der Tür erwartete sie eine
kalte, stürmische Nacht, die nach Holzfeuern und nasser Erde
roch. Um nicht bis auf die Haut durchweicht zu werden, hob sie den
Saum ihrer Röcke und rannte dicht an die Mauer gedrückt im
Schutz der Dattelpalmen über den Kies. Die Umrisse der
Palastgebäude zeichneten sich undeutlich im Licht einiger
geschützt angebrachter Fackeln ab, und schon bald erreichte
Sapphira den Flügel der Hofdamen, an den die Dormitorien
anschlossen. Anstatt wie sonst den kürzesten Weg zu wählen,
folgte sie einem überdachten Säulengang, an dessen Ende sie
sich nach rechts wandte.
Sie
hatte gerade einen der kleinen Gärten erreicht, als sie eine
Bewegung im Augenwinkel innehalten ließ. Mit klopfendem Herzen
lauschte sie in die Dunkelheit, aber außer dem Prasseln des
Regens und dem vereinzelten Ruf eines Nachtvogels war nichts zu
hören. Eine Zeit lang verharrte sie regungslos. Erst als die
feuchte Kälte begann, ihren Rücken hinaufzukriechen,
schlang sie fröstelnd die Arme um sich und eilte auf leisen
Sohlen weiter. Das Knacken eines Astes ließ sie
zusammenschrecken, und als keine fünf Schritte vor ihr ein Geist
aus dem Gebüsch brach, stieß sie einen gellenden Schrei
aus. Der Geist erstarrte und blieb schwankend stehen. Dann breitete
er die Arme aus und sank beinahe anmutig zu Boden, wo er leise
wimmernd liegen blieb. Kaum begriff Sapphira, dass es sich bei der
Erscheinung nicht um ein Trugbild, sondern um eine Frau handelte,
fiel die Erstarrung von ihr ab und sie näherte sich dem Häufchen
Elend. Dieses gab unverständliche Worte von sich, die sich zu
wiederholen schienen, doch bevor Sapphira sich über die Gestalt
beugen konnte, kam eine Handvoll aufgeregter Wachen herbeigeeilt.
»Was geht hier vor?«, herrschte der Anführer sie an
und zeigte auf die Gefallene. »Wer ist das?« »Ich
weiß es nicht«, antwortete Sapphira und trat in den
Schutz des vorspringenden Daches zurück. »Sie kam aus den
Büschen.« Zwei der Männer gingen neben der Frau in
die Knie und halfen ihr unsanft zurück auf die Beine. »Es
ist die Gemahlin des Sultans«, stellte einer von ihnen
verwundert fest, und da der Schein einer Laterne auf ihr Gesicht
fiel, erkannte Sapphira sie ebenfalls. Olivera Despina! Was, um alles
in der Welt, hatte diese hinterhältige Schlange mitten in der
Nacht hier im Garten zu suchen? Kummer und Müdigkeit traten in
den Hintergrund, als blinder Hass in ihr aufflammte.
»Lasst
mich los«, nuschelte Olivera und ruderte
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