Die Heilerin des Sultans
schwer. »Warum musst du diesen Schutzzauber so
oft wirken? Sollte der Herr es nicht vor allem Schaden bewahren?«
Sie seufzte und schüttelte den Kopf als habe sie einen
verstockten Knaben vor sich. »Das Kind ist zwar mit Luzifers
Hilfe gezeugt, aber ich als seine Dienerin muss dennoch dafür
sorgen, dass ihm nichts geschieht.« Diese Erklärung
leuchtete Otto nicht unbedingt ein, aber er wollte sich auf keinen
Fall mit ihr anlegen – dazu fürchtete er sich zu sehr vor
den Fähigkeiten seiner schönen Gemahlin. »Geh schon«,
beharrte sie und verscheuchte ihn mit einer Handbewegung, bevor sie
den Weg ins oberste Geschoss des Palas fortsetzte. Otto sah ihr nach,
bis sie verschwunden war. Dann wandte er sich nach rechts und
trottete zurück in seine Gemächer. Gedankenverloren
streifte er Schuhe und Wappenrock ab, legte die Hände an den
Kachelofen und starrte Löcher in die Luft. Hatte er einen Fehler
gemacht, als er sich darauf eingelassen hatte, sie zu heiraten? Diese
Frage nagte seit einiger Zeit an ihm, und der Zweifel fraß sich
immer tiefer in seine Seele. War das Kind, das sie in sich trug,
wirklich die Frucht seiner Lenden, oder hatte der Herr der Finsternis
es ohne sein Zutun in ihr eingepflanzt? Die Wärme der Tonkacheln
breitete sich langsam und wohltuend in ihm aus, während eine
weitere Frage an die Oberfläche stieg. Wann würde er mit
ihrer Hilfe endlich das erreichen, weswegen er nach ihr hatte suchen
lassen? Sicherlich hatte sie ihm lang und breit erklärt, dass
der Zeitpunkt für die Vernichtung seines Widersachers kommen
würde. Aber was, wenn sie eine neue Ausflucht fand, um nicht mit
ihm nach Ulm gehen zu müssen? Er löste sich von dem Ofen
und entzündete einige Kerzen an der Öllampe. Es hatte
keinen Sinn, Schlaf zu suchen. Das Wissen, oder eher Nichtwissen,
über das, was Helwig im Dachgeschoss trieb, würde ihn wach
halten. Er ließ sich auf die Matratze fallen und stemmte die
Ellenbogen auf die Oberschenkel. Zwei lange Monate musste er noch
warten, bevor er mit ihr nach Ulm aufbrechen und Lutz Metzler ein für
alle Mal vernichten konnte. Zwei lange, dunkle, kalte Monate! Er
wackelte mit den Zehen und verzog das Gesicht. Wie jeden Winter
schmerzten ihm auch in diesem Jahr Sehnen und Gelenke, und als er vor
einigen Tagen sein Spiegelbild erblickt hatte, war er erschrocken.
Bleich und kränklich war er das vollkommene Gegenteil seiner
jungen, geschmeidigen Gemahlin, der die Kälte nicht halb so
zuzusetzen schien wie ihm. Er hob die Hand an die Brust, ließ
sie jedoch schuldbewusst wieder sinken. Das, wonach er instinktiv
hatte greifen wollen, lag unter dem Schnee begraben im Dreck des
Burggartens. Er ließ langsam den Atem durch die Nase
entweichen. Hoffentlich hatte er keinen Fehler gemacht.
Kapitel 65
Bursa,
Winter 1401
Ein Tag
glich dem anderen und inzwischen war der Monat Dschumada al-Ula angebrochen und brachte tagelange Regengüsse. Während sich
Sapphiras Gefährtinnen die langen Winterabende mit Geschichten
aus Tausendundeine Nacht verkürzten, war die junge Frau oft bis
weit nach Mitternacht über ihre Bücher gebeugt und prägte
sich Arzneirezepte und Heilungsmethoden ein. Bis vor einer Woche
hatte sie vor dem Schlafengehen noch einmal nach Falk gesehen, doch
inzwischen hatte der Hekim seinen Willen durchgesetzt. Sobald
Falks Wunde begonnen hatte, Inseln aus gesundem rotem Fleisch zu
bilden, hatte der Arzt darauf bestanden, ihn von den schwerer
Verwundeten zu trennen – was bedeutete, dass es für
Sapphira keine Veranlassung mehr gab, sich um ihn zu kümmern.
Ihre Finger betasteten die kleine Holztaube an ihrem Hals, die Falk
ihr geschenkt hatte. Und erneut bohrte sich ein Stachel in ihr Herz.
Während die Buchstaben vor ihren Augen verschwammen, beschwor
sie sein Bild herauf und wünschte sich, ihm ein letztes Mal zum
Abschied die Hand auf die Wange legen zu können. Eine Träne
fiel auf das dünne Papier und machte die Schrift unleserlich.
Wütend über sich selbst, presste sie die Handballen auf die
Augen und verwünschte sich dafür, dass es ihr nicht
gelungen war, die Lüge vor sich selbst aufrecht zu erhalten. Wie
viel einfacher wäre es doch gewesen, ihn wie einen Bruder zu
sehen; die Gefühle für ihn damit zu erklären, dass er
sie an Yahya, den einen Freund erinnerte, mit dem Sapphira ohne
Vorbehalt alle Gedanken hatte teilen können! Warum hatte Falk in
ihr Herz einbrechen und ihr einen Teil davon für immer stehlen
müssen? Sie ließ die Hände sinken und
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