Die Heilerin des Sultans
strahlenden Glanz ihrer alten
Schönheit! Und dann würde sie sich einen weitaus
mächtigeren Mann zum Gatten nehmen, als Bayezid es jemals
gewesen war. Denn warum sollte die Zofe mit ihrer zweiten
Prophezeiung nicht genauso recht behalten, wie mit ihrer ersten
Weissagung?
Kapitel 79
Bursa,
Sommer 1402
Es war, als
versuche der Himmel den Sultan vor einem Aufbruch zu warnen.
Wohingegen die vergangenen Wochen strahlender Sonnenschein geherrscht
hatte, braute sich an diesem Morgen ein Unwetter zusammen, das seit
Tagen schwer und feucht in der Luft lag. Obwohl inzwischen ein dünner
Streifen am Horizont den Sonnenaufgang verkündete, schoben sich
die Wolkenberge über Bursa immer weiter zusammen – als
wollten sie die Nacht verlängern und somit den Abmarsch der
Armee hinauszögern. Über den Gipfeln des Uludağ-Gebirges
zerrissen bereits die ersten Blitze den Himmel und das Grollen des
Donners ließ die Pferde nervös tänzeln. Froh darüber,
dass er sich nicht in unmittelbarer Nähe der Mehterhane- Kapelle
befand, tätschelte Falk dem Ersatzhengst des Sultans den Hals
und wartete darauf, dass sich das kunterbunte Knäuel des Trosses
in Bewegung setzte. Sowohl die Vorreiter der leichten Kavallerie –
unter ihnen Hans Schiltberger – als auch die gepanzerten
Reiter, die Kriegselefanten, die Janitscharen und Bayezid Yilderim waren bereits durch die Hohe Pforte verschwunden. Nur noch
Nachhut und Tross drängten sich im inneren Hof, und Falk fragte
sich, wie viele der Ordu Esnaf – der Armeehandwerker –
wohl noch herbeiströmen würden. Tuchscherer, Schwertmacher,
Sattler, Leinenhändler, Bogenmacher, Schuster, Barbiere,
Schmiede, Kerzenzieher, Kupferschmiede, Bäcker, Köche,
Schreiber, sowie ein Hekim und seine Helfer teilten sich den
Platz auf den zahllosen zweiachsigen Karren, die sich quälend
langsam in Bewegung setzten. Riesige Fässer mit Trinkwasser
schwankten gefährlich hin und her, als einer der Wagen über
einen verlorenen Balken holperte, aber dicke Stricke hielten die
Tonnen aufrecht. Gemeinsam mit etwa vier Dutzend anderen
Pferdeknechten verharrte Falk am Rande des Geschehens, bis ihnen
einer der Soldaten der Nachhut ein Zeichen gab. Wenig später
trottete er hinter einem Karren voller Mehlsäcke her, die bei
jeder Unebenheit leicht hin und her schaukelten. Ein Bass griff den
Ausruf auf, den der Anführer der Bektaşi-Mönche vor
dem Aufbruch des Sultans über die Köpfe der Kämpfer
geschmettert hatte: » Kerim Allah – Gott ist
großzügig!« Und augenblicklich antworteten die
Männer vor und hinter Falk: » Hu – das ist
er.«
Während
seine Lippen sich wortlos bewegten, ließ Falk den Blick ein
letztes Mal zu der abweisenden Mauer wandern, die den Palast umfing.
Aber sein Auge suchte vergebens nach einem weißen Punkt
inmitten der zahllosen Schaulustigen, die sich davor drängten.
Erst, als das Gatter des dritten Hofes ihm die Sicht schon beinahe
abgeschnitten hatte, entdeckte er sie auf den Stufen der Moschee.
Regungslos wie eine Statue schien sie ihn direkt anzusehen, und die
Sehnsucht nach ihr schlug wie eine gewaltige Woge über ihm
zusammen. Um ein Haar hätte er den Arm gehoben, hätte ihren
Namen gerufen und den Hengst gewendet. Doch die tödlichen Folgen
dieser Torheit ließen ihn die Zähne aufeinanderbeißen
und mit steinernem Gesicht weitertraben. Sapphira! Sein Herz zog sich
zusammen, als er daran dachte, dass er sie vielleicht niemals
wiedersehen würde. Als er sie vor sechs Wochen und zwei Tagen
endlich aus der Ferne erblickt hatte, hatte er bereits gewusst, warum
sie nie mehr in dem kleinen Garten aufgetaucht war. »Sie ist
zur Tabibe ernannt
worden«, hatte Hans ihn wissen lassen, der es wiederum von
einem anderen Burschen erfahren hatte. »Man munkelt, der Sultan
habe ein Auge auf sie geworfen«, hatte der Bayer hinzugefügt.
Der Ausdruck auf seinem sommersprossigen Gesicht hatte Falk deutlich
gemacht, wie viel Genugtuung es dem Landsmann bereitete, ihm damit
Qualen zuzufügen. Und er hatte gleichgültig die Schultern
gezuckt, während sich sein Innerstes in Feuer verwandelt hatte.
Von diesem Tag an hatte er jede freie Stunde darauf verwendet, nach
einem Kapitän zu suchen, doch die Kunde von dem bevorstehenden
Kriegszug hatte die Händler verscheucht. Eine Zeit lang hatte er
mit dem Gedanken gespielt, dennoch eine Flucht zu riskieren, ohne
Rücksicht auf die Vernunft oder mögliche Verluste zu
nehmen. Da der Palast jedoch inzwischen einem Ameisenhaufen glich
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