Die Heilerin des Sultans
Morgen graute früh, und der folgende Tag glich dem
vorigen. Die brütende Hitze des Sommers nahm zu je weiter sie
sich in Richtung Inland bewegten, und irgendwann hörte Falk auf,
die Stunden nachzurechnen. Ständig stießen neue Yaya und Azap – Fußsoldaten,
sowie die Sipahi- Reiter
der Provinztruppen und die gefürchteten Akinji- Räuber
zu dem Heerzug, der täglich gewaltiger und furchterregender
wurde. Während sich Falks Haut immer mehr rötete und sein
Gesäß immer wunder wurde, tröpfelten die Tage zäh
dahin, bis sie schließlich – zwei Wochen nach ihrem
Aufbruch aus Bursa – das Umland der Stadt Ankara erreichten.
Blendend weiß hoben sich die Häuser von dem inzwischen
trockenen Braun der Felder ab, und schon von Weitem war die Zitadelle
der Stadt zu erkennen. Dankbar griff Falk nach der Kelle, die einer
der Wasserträger ihm anbot und stillte seinen Durst, sobald er
aus dem Sattel gerutscht war. Sicherlich wurden die Fässer mit
dem Trinkwasser bei jeder Gelegenheit aufgefüllt, aber die
erbarmungslose Hitze des anatolischen Sommers sorgte dafür, dass
selbst die größten Mengen nur mit Mühe und Not
ausreichten. »Schlagt das Lager auf!«, dröhnte ein
Offizier der Nachhut, und Falk fragte sich, ob sie endlich ihr Ziel
erreicht hatten. Wie weit mussten sie noch marschieren, um auf den
Feind zu treffen? Versteckte sich dieser in den Bergen oder wartete
er in einem der Täler darauf, dass ihm die Streitmacht des
Sultans in die Falle ging? Hungrig schlang er das einfache Mahl aus
Trockenfleisch, hartem Brot und klumpigem Käse in sich hinein.
Sobald er die Pferde versorgt hatte, zog er sich in eine Ecke der
Koppel zurück, um sich mit einer neuen Schnitzerei abzulenken.
Diese würde einen schreitenden Elefanten mit hoch erhobenem
Rüssel zeigen, sobald sie fertig war. Er wog das kleine Messer
in der Hand und nagte an der Lippe. Wenn sie jemals fertig wurde!,
dachte er mit einem unguten Gefühl in der Magengegend und grub
die Klinge in das weiche Holz.
Kapitel 80
Ulm,
Sommer 1402
»Ihr
habt mich lange genug hingehalten!« Hans Kun – gefolgt
vom Ammann und einem halben Dutzend Stadtwächter –
richtete sich zu seiner vollen Größe auf und zog
überheblich die Oberlippe hoch. »Ich habe Nachforschungen
angestellt«, bellte er. »Dieser Otto von Katzenstein ist
seit beinahe einem Jahr tot, und keiner seiner Erben ist bisher bei
Euch erschienen!« Obwohl Lutz Metzler den Männern empört
die Tür weisen wollte, riss er erstaunt die Augen auf. Otto war
tot? Laut sagte er: »Was redet Ihr da?« Hans Kun
schnaubte und winkte die Wachen in den Hof, auf dem in Windeseile
neugierige Knechte und Mägde zusammenliefen. »Falk von
Katzenstein ist ebenfalls tot, ganz gleich, was ihr alle Welt glauben
machen wollt!«, spuckte der hagere Baumeister aus. »Euren
Behauptungen zufolge existiert eine Schenkungsurkunde, die im Besitz
des unehelichen Onkels, Ritter Otto von Katzenstein, gewesen
sein soll.« Er machte eine bedeutungsvolle Pause. »Auf
den anderen Unsinn gehe ich erst gar nicht ein.« Seine grauen
Augen musterten Lutz kalt. »Sagt mir, warum hat dieser Ritter
Euch all die Zeit über in Ruhe gelassen?! Und kommt mir nicht
wieder mit hanebüchenen Geschichten über den Grafen von
Württemberg!« Lutz spürte, wie Wut gepaart mit
abgrundtiefer Verachtung in ihm aufstieg. »Das habe ich Euch
doch bereits erklärt«, versetzte er gezwungen ruhig und
wandte sich an den Ammann. »Ich weiß nicht, was für
Lügen er Euch aufgetischt hat, aber Falk von Katzenstein ist
keinesfalls tot. Er befindet sich auf einer Reise in den Orient, um
Pferde für seine Zucht zu erstehen.« Lutz verschränkte
die Hände vor dem Bauch, um sich davon abzuhalten, sie zu
Fäusten zu ballen. »Sein Onkel, besagter Ritter, ist ohne
ihn zurückgekehrt, weil er sich in Venedig den Arm gebrochen
hat.« Er ließ die Lüge wie Butter auf der Zunge
zergehen. »Solche Reisen dauern nun einmal ihre Zeit. Es sind
gerade einmal zwei Jahre vergangen. Manch einer kehrt erst nach einem
Jahrzehnt zurück.«
Das
zerfurchte Gesicht des Baumeisters verzog sich zu einer gehässigen
Grimasse. Dann teilten sich die blutleeren Lippen und er spuckte
bissig aus: »Das könnt Ihr alles dem Rat vortragen. Ich
habe Klage gegen Euch vorgebracht.« Er schien die Empörung
zu genießen, die sich auf Lutz’ Zügen ausbreitete.
»Wenn Ihr nicht zweifelsfrei bezeugen könnt, dass Falk von
Katzenstein noch am Leben ist, dann erhebe ich Anspruch auf
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