Die Heilerin des Sultans
er dafür gesorgt, dass das Interesse
des Sultans an ihr erstorben war, sobald dieser sich wieder besser
gefühlt hatte? Warum hatte er all das getan, wenn er ihr jetzt
alles nehmen wollte, das ihr etwas bedeutete? Sie schlug die Hände
vors Gesicht und wartete auf Tränen, die nicht kamen. Und warum
hatte er ihr bisher jede Möglichkeit verbaut, ihrem Geliebten
eine Botschaft zukommen zu lassen? »Warum?«, flüsterte
sie und versuchte nicht daran zu denken, wie Falk von einem Pfeil
oder einem tödlichen Schwerthieb getroffen zu Boden ging und von
donnernden Hufen niedergetrampelt wurde. Einmal war er bereits unversehrt
zurückgekehrt. Würde Gott auch ein zweites Mal seine
schützende Hand über ihn halten?
*******
Ein
Schatten huschte über Oliveras Gesicht, als ihre Zofe ihr von
der Nachricht berichtete, die für all die Aufregung vor den
Fenstern ihres Gemaches sorgte. Wie jeden Tag hatte sie auch heute
bis lange nach Anbruch des Tages geschlafen. Aber seit ihrem letzten
Besuch im Darüssifa bemühte sie sich, keinen Wein
mehr zu trinken, bevor die Sonne nicht hoch am Himmel stand. »Wenn
Ihr so weitermacht, bringt Ihr Euch um«, hatte die junge Tabibe sie eindringlich gewarnt. Und auch wenn das Leben keinen Reiz
mehr für sie hatte, war sie dennoch froh, dass sie auf die Frau
gehört hatte. Denn mit der Neuigkeit, dass Timur Lenk endlich
gegen ihren Gemahl zog, kehrte ein Funken Hoffnung zurück. Ihr
Mund verzerrte sich zu einem gespenstischen Grinsen. Hoffnung, dass
der Tatar ihren Gemahl vernichten – ihn demütigen und
zerschmettern würde, so wie Bayezid sie zerschmettert hatte. Die
Trauer um ihr verlorenes Kind schloss sie in einem Gefängnis
ein, aus dem es kein Entkommen zu geben schien. Nacht für Nacht
und Tag für Tag sah sie all das Blut und das winzige Wesen –
kaum größer als ihr Finger – das zwischen ihren
Beinen zu Boden geglitten war, nachdem Bayezid ihr den Trank die
Kehle hinabgezwungen hatte. Die entsetzliche, unerträgliche
Kälte kehrte zurück, und sie wickelte den warmen Umhang
enger um ihre Schultern. Seit Bayezid ihr mit seiner Grausamkeit
alles geraubt hatte, für das es sich gelohnt hatte zu leben,
konnten weder Sonne noch Feuer sie wärmen. Eine lange Zeit
starrte sie in die Höfe und Gärten hinab und verfolgte
blicklos, wie Diener, Eunuchen und Frauen schnatternd
durcheinanderliefen.
»Der
Feind meines Feindes ist mein Freund«, murmelte sie schließlich
und erhob sich mit knackenden Gelenken. Einige Augenblicke verharrte
sie regungslos auf der Stelle – als wüsste sie nicht, was
sie als Nächstes tun sollte. Dann stieß sie einen Seufzer
aus und wandte sich nach links, um das erste Mal seit Wochen ihr
Spiegelbild zu betrachten. Vor der polierten Silberfläche
angekommen, ließ sie den Umhang zu Boden gleiten und starrte
die Gestalt darin an. Ihr ehemals wohlgerundeter Körper wirkte
ausgezehrt und knochig, und das Gesicht, das früher an einen
Engel erinnert hatte, war hohlwangig und fahl. Die klaren blauen
Augen waren rot gerändert, und die blonden Locken bedurften
dringend einer Wäsche. Was war nur mit ihr geschehen?, fragte
sie sich und betastete mit dem Zeigefinger die dunklen Ringe unter
ihren Augen. Wo war ihre Schönheit geblieben? Was war mit der
Frau passiert, die alle anderen Mitglieder des Harems ausgestochen hatte? Der Hass,
den sie so lange verloren geglaubt hatte, flammte überraschend
wieder auf, bohrte sich in ihre Brust und übergoss die bleichen
Wangen mit feuriger Röte. Einen einzigen Moment lang fühlte
sie sich lebendig, doch dann fiel das Gefühl wieder in sich
zusammen – genauso schnell, wie es in ihr aufgestiegen war.
»Herr, erbarme dich meiner«, wisperte sie und schlug ein
Kreuz vor der Brust. Seit dem schrecklichen Vorfall betete sie immer
öfter zu einem Gott, der ihre letzte Hoffnung war. Ihr Ausdruck
verhärtete sich. Nein, dachte sie. Nicht die letzte Hoffnung. Denn das war seit
heute Timur Lenk – der mächtige Khan aus Samarkand, der
ihren Gemahl zertreten und auslöschen würde wie einen Wurm!
Die Worte der griechischen Zofe fielen ihr wieder ein: »Vielleicht
werdet ihr einen weiteren Gatten haben.« War die Voraussetzung
dafür nicht, dass Bayezid nicht mehr am Leben war? Sie straffte
die Schultern und warf ihrem Spiegelbild einen letzten Blick zu. Sie
würde aufhören zu trinken und wieder mehr essen. Wenn Timur
ihren Gemahl besiegte, wollte sie den Sieg nicht als unansehnliche
Vogelscheuche feiern, sondern im
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