Die Heilerin des Sultans
ihm
schnürte ihr die Kehle zu. Er fehlte ihr so sehr! Manchmal war
es beinahe, als ob mit ihm ein Teil von ihr durch die Tür in dem
kleinen Garten verschwunden war, ohne den sie nicht leben konnte. Sie
rang den Kummer nieder, der ihr die Brust sprengen wollte. Anders als
das erste Mal – als Falk aus dem Hospital entlassen worden war
– schmerzte die gegenwärtige Trennung tausend und
abertausend Mal mehr, da sie wusste, wie viel sie verloren hatte. Ein
Ausatmen verwandelte sich in ein Stöhnen, und sie wünschte,
es wäre bereits Abend, damit sie Trost in den Armen der
Bewusstlosigkeit suchen konnte. Ihre Hand umklammerte die Flasche in
ihrer Tasche. Ein Geräusch ließ sie schuldbewusst
auffahren und hastig von der Tür zurückweichen, als diese
sich leicht bewegte. Eine der Helferinnen steckte den Kopf hindurch.
»Maria Olivera Despina hat schon wieder zu viel getrunken«,
seufzte das Mädchen und machte Sapphira den Weg frei. Froh
darüber, Ablenkung von den eigenen Problemen zu finden, folgte
sie der jungen Frau und zwang sich, ihren Kummer zu verbergen.
Kapitel 78
Bursa,
Frühsommer 1402
Drei Monate
später brach Sapphiras Welt zusammen. Sie war gerade damit
beschäftigt, einem verwundeten Rekruten das zertrümmerte
Handgelenk zu schienen, als die Neuigkeit ins Hospital vordrang. Mit
flammenden Wangen kam ein junger Bursche durch die offen stehende Tür
gestürmt und verkündete atemlos: »Timur Lenk ist mit
einer riesigen Armee auf dem Weg nach Sivas«, keuchte er und
machte ein Gesicht, als ob er höchstpersönlich für
diese Entwicklung verantwortlich zeichnete. »Alle, die nicht zu
schwer verwundet sind, müssen sich bei ihrer Einheit melden. Der
Sultan wird ihm entgegenziehen.« Fassungslos ließ
Sapphira die Hand des Burschen los und ignorierte sein schmerzhaftes
Aufjaulen. Das Stimmengewirr, das sich um sie herum erhob, verriet,
dass die Männer und Knaben genauso überrascht waren wie
sie. Aber anders als die Soldaten empfand Sapphira keine Aufregung,
sondern einzig bodenloses Entsetzen. »Diese Schlacht wird
gewaltiger als alle Schlachten zuvor«, prophezeite ein
Janitschare, dessen Wange eine klaffende Wunde entstellte. »Sultan
Bayezid Khan wird diese Hunde mit Allahs Hilfe vernichten!«,
verhieß ein anderer. »Wir werden unserem Herrn Ehre
machen!«, prahlte ein dritter. »Timur, der Tatar, wird
schon bald um Gnade winseln!« Während die Männer sich
weiter gegenseitig anstachelten, nahm Sapphira betäubt die
Arbeit am Arm ihres Patienten wieder auf und beendete diese
mechanisch. Kaum hatte sie die letzte Binde verknotet, griff sie nach
ihren Instrumenten und wollte sich an dem hämisch lächelnden Hekim vorbeidrücken, um nach nebenan zu den Frauen zu
fliehen. Als sie bei ihm ankam, fasste er sie jedoch hart am Oberarm
und raunte ihr ins Ohr: »Wie schade, dass Ihr als Weib auf dem
Schlachtfeld nichts zu suchen habt.« Schadenfreude glomm in
seinen zu Schlitzen verengten Augen. »Wen wird der Sultan wohl
eher zu seinem Leibarzt machen? Denjenigen, der im Kampf an seiner
Seite ist, oder denjenigen, der ihm lächerliche Tränke und
Salben mischt?«
Obwohl
die Angst um Falks Wohlergehen Sapphira die Kehle eng machte, stieg
unvermittelt eine solch ungezähmte Wut in ihr auf, dass sie die
Finger in den Stoff ihrer Entari grub, um dem Hekim nicht das Gesicht zu
zerkratzen. Sie schüttelte seine Hand unwillig ab und zog
verächtlich die Oberlippe hoch. »Ihr seid widerlich!«,
zischte sie und funkelte ihn an. »Nicht nur, dass Ihr Eure
eigenen Patienten schädigt, um mich beim Kapi
Agha anzuschwärzen.«
Ihre Augen sprühten Feuer. »Ihr seht das Leid und den Tod
unzähliger Männer als nichts weiter als einen Trittstein
für Euer Fortkommen.« Sie hätte ihm am liebsten
angeekelt vor die Füße gespuckt. »Ihr verdient es
nicht, Arzt genannt zu werden!« Mit diesen Worten ließ
sie ihn stehen und stürmte davon. Am ganzen Körper bebend,
schleuderte sie achtlos ihre Instrumente in eine mit Wasser gefüllte
Schüssel und raufte sich die Haare. Warum hasste Gott sie nur so
sehr?, fragte sie sich und zerrte sich den Schleier vom Gesicht. Was
hatte sie getan, dass er sie so furchtbar quälte? Sie gab einen
gepressten Laut von sich und fasste sich an die Brust. Es war, als ob
jemand mit der Hand in sie hineinfahren, ihr Herz umklammern und es
ihr aus dem Leib reißen würde. Warum hatte Gott sie vor
Bayezids Nachstellungen bewahrt, wenn er ihr nicht gnädig
gesonnen war? Warum hatte
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