Die Heilerin des Sultans
seine
Besitzungen.« Er wischte ein unsichtbares Stäubchen von
dem konservativen Rock, der züchtig seine Knie bedeckte. »Ich
nehme an, Ihr habt Briefe erhalten. Immerhin seid Ihr sein
Verwalter.« Lutz atmete tief ein und versuchte,
Selbstsicherheit in seine Stimme zu legen, als er dem Werkmeister
antwortete: »Selbstverständlich habe ich Nachricht von ihm
erhalten«, log er, obwohl er wusste, dass er sich damit
lediglich einige Wochen Zeit erkaufen konnte. Vielleicht konnte er
einen Brief fälschen, so wie Otto zweifelsohne die
Schenkungsurkunde gefälscht hatte. Keiner würde den
Unterschied erkennen, wenn er sich nur genug anstrengte. »Ihr
werdet eine Vorladung erhalten«, mischte sich der Ammann ein.
»Binnen zwanzig Tagen müsst Ihr vor dem Rat erscheinen und
Stellung zu den Anschuldigungen nehmen.« Damit gab er seinen
Männern ein Zeichen und sie folgten ihm zurück auf die
Straße. Hans Kun blieb trotzig noch einen Moment stehen, bevor
auch er auf dem Absatz kehrtmachte und davonstürmte. Während
er ihm nachstarrte, nahm Lutz weder den betörenden Rosenduft aus
dem nahen Garten noch das Tuscheln des Gesindes wahr, da sein
Verstand fieberhaft arbeitete. Otto von Katzenstein war tot! Das
erklärte, warum er nie wieder in Ulm aufgetaucht war. Lutz
kratzte sich nachdenklich am Kopf. Noch immer hatte er nicht in
Erfahrung bringen können, wer die Frau gewesen war, die Brida
das Gift verkauft hatte. Ob sie von Otto oder vielleicht sogar von
Hans Kun beauftragt worden war, würde vermutlich für immer
ein Rätsel bleiben. Er holte tief Luft und kehrte grübelnd
ins Haus zurück. Wer auch immer für diesen feigen Anschlag
verantwortlich zeichnete, er hatte damit keinen Erfolg gehabt, und er
würde auch mit einer Klage vor dem Rat keinen Erfolg haben! Wenn
nötig, würde Lutz lügen und betrügen, ja sogar
falsche Eide schwören, um Falks Eigentum vor seinem gierigen
Onkel zu schützen! Wenn er alles leugnete, was Hans Kun ihm
vorwarf, dann stand Aussage gegen Aussage und der Rat konnte nicht
anders als zu seinen Gunsten entscheiden. Er erklomm die Treppen ins
Obergeschoss und betrat die Stube. Dort zog er einen Schemel an den
Tisch, griff nach Papier und Feder und entkorkte ein Tintenfass.
Kapitel 81
Anatolien,
Sommer 1402
Das Glück,
das Bayezid erfüllte, war vollkommen. Im Sattel seines
prächtigen Hengstes trabte er inmitten eines roten Meeres aus
Janitscharen – entlang am Ufer des Flusses Kizilirmak. Entgegen
den kleinmütigen Ansichten seiner Berater hatte er beschlossen,
nicht in der Umgebung von Ankara auf Timur Lenk zu warten, sondern
ihm entgegenzuziehen und in Tokat – nordwestlich von Sivas –
sein Lager aufzuschlagen. Das Donnern der Hufe ließ den Boden
unter ihm erzittern, und es war, als übertrage sich die Stärke
seiner Männer auf ihn. Weithin sichtbar funkelte das Geschirr
seiner Kriegselefanten in der erbarmungslos vom Himmel stechenden
Sonne, und der Schlachtruf seiner Soldaten gab ihm die lange verloren
geglaubte Zuversicht zurück. Seit ihn die schöne Heilerin
von der Krankheit des Gemütes befreit hatte, fühlte er sich
wieder kraftvoll, jung und unbesiegbar – eine Tatsache, die
dazu beigetragen hatte, dass er zum Aufbruch gedrängt hatte.
Einen Augenblick lang kehrten seine Gedanken zu der Tabibe zurück,
und er fragte sich, warum er sich in so untypischer Zurückhaltung
geübt hatte. Weil die Zahl der Konkubinen nahezu unbegrenzt ist,
teilte ihm sein Verstand mit. Die der Heilerinnen allerdings nicht.
Und weil die Gier seiner Lenden ihm in letzter Zeit nicht gerade
Glück gebracht hatte! Er wischte die Überlegungen beiseite
und ließ stolz den Blick über die Flügel seiner
Kavallerie schweifen. Die rechte Flanke wurde von Stefan Lazarevic,
Oliveras Bruder, kommandiert, während Prinz Suleyman den linken
Flügel anführte. Als Zeichen des wiedergewonnenen
Vertrauens hatte Bayezid seinem ältesten Sohn diese Aufgabe
anvertraut und ihm zudem einen Teil der eroberten Gebiete
versprochen. Mehmet, sein Augapfel, befehligte die Nachhut, während
seine anderen drei Söhne, Mustafa, Isa und Musa mit Bayezid im
Zentrum der Streitmacht ritten. Ein Viertel des Heeres bestand aus
unterworfenen Tataren, die dem Sieg über Timur eine besondere
Süße verleihen würden. So weit das Auge reichte,
warfen Helme, Lanzen und Schwerter das gleißende Sonnenlicht
zurück. Wenngleich Bayezid der Schweiß in Strömen
über das Gesicht rann, störte ihn die Hitze kaum, da das
Feuer der
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