Die Heilerin des Sultans
einem faulen Gähnen, steckte aber sofort darauf wieder
den Kopf zwischen die Pfoten. Das Herz in der Kehle, schob Sapphira
sich an der Wand entlang in den nächsten Raum, von dem drei
Türen abgingen. Welche führte in die Umkleidekammer?,
fragte sie sich mit einem Anflug von Panik und versuchte, sich die
Anordnung der Gemächer vorzustellen. Die rechte! Schritt für
Schritt folgte sie dem schmalen Teppich, griff nach der Klinke,
drückte diese mit angehaltenem Atem nieder und kniff die Augen
zusammen. Anders als im angrenzenden Raum, strömte ihr hier
gleißendes, von geschliffenen Buntglasscheiben gebrochenes
Licht entgegen, und ein Blick auf die von einem Baldachin überspannte
Bettstatt genügte, um sie ihren Fehler erkennen zu lassen. Sie
hatte sich ins Schlafgemach der Valide verirrt. Das Schlagen der
Laute verstummte. Kopflos wie ein gehetztes Tier, fuhr sie mit der
Hand in die Tasche, griff nach dem goldenen Band und schleuderte es
zwischen die Seidenkissen. Danach schlug sie alle Vorsicht in den
Wind, raffte die knöchellange Entari und ergriff die Flucht. Hals
über Kopf stob sie zurück in den Korridor, wo sie über
die Füße eines Kohlebeckens stolperte, das mit
ohrenbetäubendem Getöse zu Boden krachte. Augenblicklich
erklangen die drohenden Stimmen der Wächter. Als das Trampeln
ihrer schweren Stiefel verriet, dass sie sich in Bewegung gesetzt
hatten, blieb Sapphira nichts weiter übrig, als auf gut Glück
in einen anderen Raum zu schlüpfen.
Ihr
Herz hämmerte so laut, dass sie fürchtete, die
vorbeistampfenden Wachen könnten es hören und sie aus ihrem
Versteck ziehen. Bebend vor Furcht duckte sie sich hinter einen
Stapel Pestemals –
frisch gewaschene Badetücher für das Hamam
– und kroch weiter in
die winzige Kammer. Während sich im Korridor die helleren
Stimmen der Damen mit denen der Bewaffneten vermischten, schickte sie
ein Stoßgebet zum Himmel, dass die Valide keine Durchsuchung des
gesamten Flügels anordnen würde. Denn sobald der Verdacht
aufkam, dass sich ein Mann, der kein Eunuch war, in die Gemächer
der Damen geschlichen haben könnte, wurde das Unterste zuoberst
gekehrt – das hatten zumindest die älteren Schülerinnen
behauptet. Ihr Blut drohte, sich in Eis zu verwandeln, und sie
blickte sich hilflos nach einer Fluchtmöglichkeit um. Doch in
dem Moment, in dem sie sich überlegte, ob ein Sprung aus dem
kleinen Fensterchen möglich war, erklang ein Händeklatschen
und der Aufruhr auf dem Korridor legte sich. »Es war sicherlich
nur eines der Mädchen«, grollte die Sultansmutter. »Diese
ungeschickten Dinger! Geht zurück auf euren Posten.« Damit
entließ sie die Wächter, und nach wenigen Minuten kehrte
wieder Ruhe ein – auch in Sapphiras Gedanken. Nun, da die
Gefahr gebannt war, als Diebin gefasst zu werden, wurde ihr klar, wie
groß das Risiko gewesen war, das sie auf sich genommen hatte.
Selbst wenn es ihr gelungen wäre, sich mit dem Salbentiegel aus
der Affäre zu ziehen, hätte ein genaueres Nachforschen ans
Licht gebracht, dass keine der Damen nach ihr geschickt hatte; und
damit wäre das Misstrauen der Valide sicherlich genauso schnell
entfacht worden wie ein Strohfeuer. Was mit einem Mädchen
geschah, das sich auch nur den geringsten Fehler zuschulden kommen
ließ, reichte von Degradierung zu den niedrigsten Diensten bis
hin zur Verstoßung aus dem Harem. Ein Schauer ließ sie
frösteln. Sie musste zusehen, dass sie so schnell wie möglich
zurück ins Hospital kam.
Sie
wollte gerade auf Zehenspitzen zurück zur Tür schleichen,
als zwei gedämpfte Stimmen aus dem Garten unter dem Fenster an
ihr Ohr drangen. »Das geht dich nicht das Geringste an!«
»Das tut es sehr wohl«, kam die erboste Antwort. »Wenn
er sich um deinen Sohn kümmert, warum bekommt mein Musa ihn dann
nie zu Gesicht?« Ein kaltes Lachen folgte. »Weil dein
Sohn ein Schwächling ist!« Entgegen aller Sorge entdeckt
zu werden, lugte Sapphira durch das winzige Fensterchen, vor dem sich
immergrüne Kletterpflanzen rankten, und suchte den üppigen
Garten darunter nach den Sprecherinnen ab. Zuerst konnte sie nichts
entdecken, doch dann traten zwei atemberaubend gewandete Frauen aus
einer Laube, und einen Augenblick lang glaubte Sapphira, sie würden
einander an die Kehle gehen. Die ältere der beiden, eine mit
Juwelen überladene Schönheit, hob angriffslustig die
beringte Hand. »Mehmet ist jetzt schon geschickter im Umgang
mit dem Krummschwert als dein Sohn es je werden wird«,
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