Die Heilerin des Sultans
wenig verdutzt in die
Welt blickten? Oder war es Hüma, die amazonenhafte Schönheit
aus dem fernen Indien, die den Namen des mythischen Paradiesvogels
trug? Oder sollte es gar Gülbahar sein, ihre schwarze Gefährtin,
mit der sie sich inzwischen angefreundet hatte? Sie konnte es einfach
nicht glauben. Bei keiner der jungen Frauen hatte sie den Eindruck
gehabt, es mit einer hinterhältigen Schlange zu tun zu haben,
die nicht nur das Ansehen, sondern das Leben eines andern Mädchens
aufs Spiel setzen würde. Und ihre Menschenkenntnis hatte sie
bisher noch niemals im Stich gelassen. Während sie achtlos
vorwärts stolperte, zermarterte sie sich weiter das Gehirn. Oder
hatte sie eine Feindin, die sich geschickt im Hintergrund hielt?
Um
ein Haar wäre sie mit einem Pagen zusammengestoßen, der
zwei voll beladene silberne Tabletts vor sich her balancierte.
»Entschuldige«, murmelte sie, ließ ihn passieren
und presste das Salbengefäß gegen ihr wild klopfendes
Herz. Sie musste sich zusammennehmen! Wenn die Valide oder eine der anderen Frauen
Verdacht schöpften, war es um sie geschehen. Unter Aufbietung
all ihrer Willensanstrengung unterdrückte sie das Zittern, das
ihren gesamten Körper in regelmäßigen Abständen
durchlief, und erklomm die Treppe in den ersten Stock. Dort schöpfte
sie einige Augenblicke lang Atem, bevor sie sich durch den bewachten
Durchgang drückte und den langen, von umrankten Fenstern
gesäumten Korridor entlangglitt. Froh darüber, durch die
Tracht einer Cariyesi mehr
oder weniger unsichtbar zu sein, wischte sie an riesigen Vasen vorbei
über den gefliesten Boden, passierte teils offene, teils
geschlossene Türen und erreichte schließlich den Raum, in
dem die Neuzugänge die Arbeit mit Nadel und Faden erlernten.
Hätte sie sich in einer anderen Lage befunden, hätte sie
beim Anblick der folgsam gesenkten Häupter darüber
frohlockt, dem Zepter der Stickmeisterin so bald entkommen zu sein.
Doch im Moment zählte nur eines: So schnell wie möglich das
Band dorthin zurückzubringen, wo es hingehörte. Das leise
Rascheln des Stoffes war das einzige Geräusch, das in den
ansonsten totenstillen Korridor drang, und während Sapphira sich
so lautlos wie möglich hinter dem Rücken der Meisterin
vorbeischlich, schwoll die Furcht in ihrer Brust zu einer
überwältigenden Woge an. Wie, um alles in der Welt, sollte
sie die Umkleidekammer der Valide erreichen, ohne gesehen zu
werden? Sie fuhr mit einem erstickten Laut zusammen, als plötzlich
Schritte durch den Gang hallten. Begleitet vom Rauschen eines
Palmwedels und dem leisen Klirren von Metall verklangen diese jedoch
schon kurze Zeit später in der entgegengesetzten Richtung, und
das Schlagen einer Tür verriet, dass die Gefahr gebannt war. Ein
Krampf in ihrer Hand ließ sie den Griff um das Salbentöpfchen
lockern. Beeil dich!, ermahnte sie sich und warf einen prüfenden
Blick über die Schulter zurück. Sollte überraschend
eine Hofdame in einem der Durchgänge erscheinen, dann würde
sie eben einfach eine weitere Lüge erfinden. Wer würde bei
einer Cariyesi, einer
Hospitalhelferin, schon Verdacht schöpfen?, versuchte sie sich
selbst zu überzeugen. Mit etwas mehr Mut straffte sie die
Schultern und hastete auf die beiden grünen Säulen zu,
welche den Dienstboteneingang zu den Gemächern der Valide flankierten. Dort duckte sie
sich hinter ein Zierschränkchen aus Zedernholz, bis ihr Atem
sich so weit beruhigt hatte, dass sie es wagte, sich durch einen
schmalen Spalt in den Raum zu zwängen.
Augenblicklich
umfing sie ein künstliches Dämmerlicht. Abgeschwächt
von roten, orangefarbenen und gelben Vorhängen, drang das
Sonnenlicht durch ein feines Gitter, dessen Querstäbe wie
Tierfiguren gearbeitet waren. Aus der Ferne drang der Duft von
Chalani-Pfirsichen und Jasmin zu ihr vor, der sich mit dem schweren
Geruch von Lilien und Behennussöl vermischte. Der Klang einer
Laute und die scharfen Befehle, die kurz darauf folgten, verrieten
ihr, dass die Valide damit
beschäftigt war, eine Gruppe Mädchen in der Liebeskunst zu
unterrichten. Doch anstatt der Eifersucht, die sie unter normalen
Umständen durchströmt hätte, erfüllte sie
Erleichterung darüber, dass die mächtige Sultansmutter
beschäftigt war. Auf leisen Sohlen tastete sie sich an einem
übermannshohen, goldgerahmten Spiegel vorbei und vermied es
geschickt, die beiden an seinem Fuß zusammengerollten
Angorakatzen aufzuschrecken. Eine von ihnen öffnete zwar das
Maul zu
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