Die Heilerin des Sultans
Besitz
ergriff. Was, wenn er im Schlaf redete und das Misstrauen eines der
Inquisitoren weckte, der seine Albträume für ein Zeichen
der Schuld hielt? Als der Wirt wenig später mit einem Krug
Würzwein zurückkehrte, beschloss er, die Nacht entweder
hier im Schankraum zu verbringen oder sich in den Stall zu
schleichen, sobald alle anderen schliefen. Denn ansonsten konnte er
ebenso gut gleich wach bleiben, da an Schlaf nicht zu denken sein
würde. Während sie schweigend das zwar einfache aber
wohlschmeckende Mahl in sich hineinstopften, wurde Falk klar, was ihn
an der Begegnung mit den Dominikanern so aufwühlte. Es war nicht
nur die sehr reale Bedrohung, die von ihnen ausging, sondern vielmehr
die Tatsache, dass ihre Anwesenheit sowohl ihn als auch Otto
überrascht hatte. Sicherlich war er sich beim Aufbruch aus Ulm
darüber im Klaren gewesen, dass die Reise Gefahren barg;
allerdings hatten die Inquisitoren ihm mit schockierender
Deutlichkeit vor Augen geführt, dass es nicht nur die Gefahren
waren, mit denen man von vornherein rechnete. Er kaute nachdenklich
auf einem Stück knuspriger Schwarte herum. Die Feinde, für
die man gerüstet war, waren nicht die, welche solch ein
Unterfangen zum Scheitern bringen konnten. Das wurde ihm mit jeder
Minute, die in der erstickenden Gesellschaft der Brüder
verstrich, klarer. Es waren die Bedrohungen aus heiterem Himmel, vor
denen man sich am meisten in Acht nehmen musste! Und nur Gott allein
wusste, wie viele sie auf dieser Reise noch erwarten mochten.
*******
Mit
zusammengekniffenen Augen beobachtete Otto von Katzenstein seinen
Neffen. Offensichtlich hatten die domini canes dem Burschen
denselben Schrecken eingejagt wie ihm selbst, da die sonnengebräunte
Haut mit einem Mal seltsam fahl wirkte. Einige Momente lang empfand
er so etwas wie Mitgefühl für den Jungen, der eine solch
unheimliche Ähnlichkeit mit seinem Großvater, Ottos Vater,
hatte. Nicht nur strich er sich den struppigen, schwarzen Schopf mit
der gleichen Bewegung aus der Stirn; er fuhr sich auch genau wie Wulf
von Katzenstein über das noch bartlose Kinn, wenn er aufgeregt
war. Ganz zu schweigen von der Angewohnheit, an der Unterlippe zu
nagen. Verwirrt säbelte der Ritter eine dicke Scheibe Käse
von dem halben Laib und stopfte sie, zusammen mit einem Bissen
Weißbrot, in den Mund. Die Unbedarftheit des Knaben appellierte
an etwas tief in seinem Inneren, und er ertappte sich dabei, wie er
überlegte, seinen Plan aufzugeben. Konnte ihm nicht auch ein
anderer Weg zum Erfolg verhelfen? Was, wenn er den Bengel tatsächlich
bis nach Edirne begleitete, dort ein halbes Dutzend Vollblüter
erstand und mit diesen eine neue Zucht anfing? Würden die
Gewinne ihn nicht innerhalb kürzester Zeit von all seinen
Schulden befreien? Doch dann verhärtete sich seine Seele wieder
gegen den Spross, der ihm sein Erbrecht streitig machte. Ein Bastard,
nichts als ein Bastard, das war er! Und daran änderte auch die
entnervende Ähnlichkeit mit Wulf von Katzenstein nichts. Otto
rammte das Messer in den Braten, um auch etwas von der köstlichen
Kruste abzuschneiden. Er konnte es sich nicht leisten, weich zu
werden! Denn wenn er alles auf die Karte der Zucht setzte, dann war
er ruiniert, sollten die Tiere erneut einer Seuche zum Opfer fallen.
Und dann würde er nicht nur all sein Geld verlieren, sondern
auch den Teil seiner Ländereien, den er seinem Bancherius als Sicherheit überschrieben hatte. Und das konnte er nicht
zulassen!
Kapitel 18
Bursa,
Frühsommer 1400
Mit einer
leisen Melodie auf den Lippen befestigte Maria Olivera Despina die
juwelenbesetzte Haarnadel an der Seite ihres Kopfes. Wie viele der
vornehmen Damen im Harem trug auch sie die blonde Mähne
zu aufgesteckten Zöpfen gebändigt – bedeckt mit einem
durchscheinenden Tuch, das von einem goldenen Diadem festgehalten
wurde. Zufrieden betrachtete sie ihre Erscheinung in dem reich
verzierten Silberspiegel und zupfte den dünnen Qazz –
die hauchfeine Gaze – ihres Untergewandes zurecht, sodass ihr
voller Busen kaum beschattet war. Nachdem sie den mit goldenen Blumen
bestickten Kaftan übergestreift hatte, legte sie einen breiten
Gürtel an, auf dem Rubine, Smaragde und Diamanten funkelten.
Danach schlüpfte sie in einige Perlenarmbänder und drehte
sich zweimal im Kreis. Anders als die anderen Gemahlinnen des
Sultans, verzichtete sie beim Ankleiden manchmal auf die Hilfe ihrer
Hofdamen, da allein die Vorbereitung auf das Liebesspiel mit Bayezid
sie
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