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Die Heilerin des Sultans

Die Heilerin des Sultans

Titel: Die Heilerin des Sultans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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blähten sich, als sie das Aroma der Nadelbäume
noch tiefer einsog – wie um den Entschluss, den sie vor langer
Zeit gefasst hatte, damit tiefer in ihr Gehirn einzubrennen. Was
weder ihr Bruder noch ihr Vater zustande gebracht hatten, würde
ihr gelingen! Mithilfe ihrer weiblichen Reize würde sie den
mächtigen Bayezid Yilderim dazu bringen, eine Frucht in
ihren Schoß zu legen, die prächtiger gedeihen würde
als der Samen, aus dem sie entsprungen war. Und wenn sie dann die
anderen Söhne des osmanischen Herrschers ausmanövriert
hatte, würde ihrem Sprössling das gesamte Reich Untertan
sein! Ein wohliges Glühen erfüllte sie, und sie setzte sich
wieder in Bewegung, um beinahe beschwingt auf den nördlichen
Teil des Palastes zuzueilen, über dem die Banner des Sultans
sachte hin und her wehten.
        Auf
dem Weg durch die Gärten fiel ihr Blick auf ein Kleeblatt
geschmeidiger Schönheiten, die selbstvergessen einen der
buntgefiederten Vögel fütterten. Ein Stich der Eifersucht
fuhr ihr ins Herz, als sie die kindliche Unschuld wahrnahm, mit der
die jungen Mädchen versuchten, das Tier zu streicheln. Volle,
sinnliche Lippen, glänzende Augen und das pralle Aussehen der
Jugend, welches, ach, so schnell verwelkte. Der Geruch des Rosenöls,
mit dem sie sich jeden Abend einrieb, stach ihr plötzlich
unangenehm in die Nase. Diese jungen Dinger benötigten solche
Hilfsmittel noch nicht! Falten oder Makel waren ihnen so fremd wie
die Wärme dem Winter. Wie gut, dass sie Maßnahmen
ergriffen hatte, um dafür zu sorgen, dass ihr kein weiterer
Neuzugang den Rang ablief, dachte sie und hastete weiter, bevor ihr
der Anblick der Rivalinnen die Zuversicht rauben konnte. Mit ihren
fünfundzwanzig Jahren war sie immer noch jung, tröstete sie
sich trotzig, wenngleich eine leise Stimme ihr einflüsterte,
dass das nicht ganz der Wahrheit entsprach. Hoch erhobenen Hauptes
rauschte sie an den Janitscharen vorbei, welche den Eingang zu
Bayezids Flügel bewachten, und schüttelte – ärgerlich
über sich selbst – den Kopf. Bewies Bayezids Schwäche
nicht, dass sie begehrenswerter und schöner war als all seine
anderen Frauen, Konkubinen und Sklavinnen zusammen?! Mit einer
knappen Handbewegung gab sie der Leibgarde ihres Gemahls zu
verstehen, sie in seine Privatgemächer einzulassen, und rüstete
sich innerlich zum Kampf.

Kapitel 19
     
    Lechtaler
Alpen, Frühsommer 1400
     
    Gedämpft
von der zwischen den Felsen hängenden Feuchtigkeit gellte der
Schrei eines Steinadlers über die Köpfe der beiden Reiter
hinweg. Rings um Falk und Otto verdampfte die Nässe der
vergangenen Nacht, und hätte der Gastwirt ihnen nicht
versichert, dass das Unwetter vorüber sei, hätten sie den
Aufbruch an diesem Morgen noch nicht gewagt. Wie schwerelose Kissen
hingen nebelartige Wolkenbänke auf Bergvorsprüngen und in
Baumwipfeln, von wo aus sie fedrig zu Boden zu fließen
schienen. Einem urzeitlichen Lindwurm gleich schlängelte sich
die Via Claudia Augusta vor ihnen in die Höhe, gesäumt von
schroffen, bemoosten Felsen, die vom Frost des Winters zerklüftet
und brüchig waren. Rechts vor ihnen ragte zwischen den
Schluchten ein Plateau auf, und je näher sie kamen, desto mehr
terrassierte Felder wurden sichtbar. Auf diesen, so vermutete Falk,
bauten die Bergbauern Hafer, Rüben, Hanf oder Flachs an,
wohingegen sie die zum Teil steil abfallenden Wiesen offensichtlich
als Weidegrund für Ziegen und Kühe benutzten. Seit Stunden
war das vom Echo verstärkte Geläute scheppernder Glocken
ihr Begleiter, doch je höher sich der Pfad wand, desto mehr
wurden die Geräusche vom Wind zerstreut. War dieser im Tal noch
lau und angenehm gewesen, hatte er sich schon bald in eine Gewalt
verwandelt, die heftig an Haaren und Kleidern zerrte. Besorgt blickte
Falk zu den noch schneebedeckten Gipfeln, die hie und da aus den
zerfetzten Wolken lugten. Was, wenn der Gastwirt Unrecht hatte, und
das Wetter wieder umschlug? Er zog den Kopf zwischen die Schultern,
als er sich ausmalte, was geschehen würde, wenn sie an diesem
ungeschützten Berghang von einem Gewitter überrascht
wurden. Zwar drängten sich an einigen Stellen Fichten- und
Tannenhaine in flache Mulden, doch würden diese nicht einmal
ansatzweise genügend Schutz vor dem Toben der Elemente bieten.
Und die verstreuten Bergdörfchen lagen zu weit auseinander, als
dass man sich darauf verlassen konnte, dort Unterschlupf zu finden.
Das Klappern von Hufen verjagte die angstvollen Gedanken, und er
wandte sich

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