Die Heilerin des Sultans
Kruzifixe an den
Wänden, welche überdies mit Trockenblumensträußen
geschmückt waren. So viel Gemütlichkeit hatte er nicht
erwartet. Außer ihnen befand sich eine Gruppe Dominikaner in
der Schankstube – zu erkennen an ihrem weißen Habit und
dem schwarzen Radmantel. Wenngleich die Ankunft der beiden Reisenden
ihr Gespräch für einige Momente unterbrochen zu haben
schien, steckten die Mönche schon bald wieder die Köpfe
zusammen und lauschten den Worten eines Bruders, dessen hartes
Gesicht wie aus Stein gehauen wirkte. Hätte das
edelsteinbesetzte Kreuz an seinem Hals nicht ohnehin verraten, dass
es sich bei ihm um den Ranghöchsten der Mönche handeln
musste, dann hätte es die beinahe kriecherische Ergebenheit
getan, mit der die anderen an seinen Lippen hingen. »Geduld ist
eine Tugend, die dir immer noch fern ist, Bruder Johannes«,
schalt der Anführer einen seiner Gefährten, der reumütig
das Haupt senkte. »Die Ketzer werden uns nicht entkommen.
Erstens wissen sie nichts von unserer Ankunft und zweitens, sag mir,
wohin sollten sie fliehen? Noch höher hinauf in die Berge?«
»Verzeiht mir, Bruder Petrus«, murmelte der Gescholtene.
Als Falk klar wurde, um wen es sich bei den Dominikanern handelte,
legte sich eine Gänsehaut über seine Arme.
Ein
Blick in Ottos Gesicht genügte, um ihm mitzuteilen, dass auch
sein Onkel begriffen hatte, dass sie die Herberge mit einer Gruppe
Inquisitoren teilten. Auf der Suche nach den überall gejagten
Waldensern, schienen die Mönche offensichtlich auf dem Weg in
die Bergdörfer – in der Hoffnung, die Ketzer in ihren
geheimen Unterschlupfen aufzuspüren. Domini
canes – die Hunde des
Herrn – wurden diese Männer unschmeichelhaft genannt, und
wie jeder Christ hatte auch Falk von den Prozessen gehört, in
deren Verlauf Männer, Frauen und sogar Kinder zu einem
qualvollen Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt wurden. Alle Wärme
schien mit einem Mal aus dem Raum zu fliehen, als er sich vorstellte,
was den Bauern drohte, sobald die Heiligen Brüder die sogenannte
Gnadenfrist über ihr Dorf verhängten. Zum Zeichen ihrer
scheinbaren Barmherzigkeit würden sie den Einwohnern vier Wochen
Bedenkzeit gewähren, in der diese ihre Sünden bekennen und
dem Fehlglauben abschwören konnten. Wer sich den Inquisitoren
stellte und der Ketzerei entsagte, der durfte hoffen, mit dem Tragen
des Ketzerkreuzes davonzukommen. Doch wer von seinen Nachbarn,
Freunden oder gar Familienangehörigen denunziert wurde, dem
drohten Kerker, Folter und Tod. Und das war das eigentlich
Zersetzende an dem Vorgehen der Mönche. Wer zuerst gestand und
andere verriet, der kam mit dem Leben davon. Wer hingegen im Kerker
landete, der hatte die Wahl, sich einen schnellen Tod zu erkaufen,
indem er die Schuld einem anderen Unglücklichen in die Schuhe
schob, oder so lange die Qualen auszuhalten, bis ihm schließlich
ein Geständnis abgepresst wurde. Und nicht nur Angeklagten
drohte die Folter; auch Zeugen waren nicht sicher vor der questio
– der peinlichen
Befragung. Die Kälte breitete sich weiter in ihm aus, und am
liebsten hätte er ungeachtet des inzwischen tobenden
Gewittersturms augenblicklich die Flucht ergriffen. Was, wenn Otto
und er die Aufmerksamkeit der Brüder auf sich zogen? Um ein Haar
wäre er von der Bank aufgesprungen, als plötzlich der Wirt
neben ihm auftauchte. Mit unvermittelt hämmerndem Herzen starrte
der Knabe den Mann einige Augenblicke lang an, als handle es sich um
ein Trugbild, doch die raue Stimme des Schenks brach den Bann.
»Womit
kann ich den Herren dienen?«, fragte der rundliche Mann in
einem Dialekt, der verriet, dass er nicht aus der Gegend stammte.
»Bring uns einen Krug Wein, Brot, Käse und Braten«,
gab Otto kurz angebunden zurück und machte Anstalten, in die
Geldkatze zu greifen. Doch Falk, der sich inzwischen gefasst hatte,
kam ihm zuvor. »Wir brauchen außerdem zwei Lager für
die Nacht«, wandte er sich an den Wirt, der geschäftstüchtig
die Hand aufhielt, um die Bezahlung entgegenzunehmen. Nachdem er die
Silbermünzen gezählt hatte, nickte er zufrieden,
durchstöberte die Tasche seiner Schürze und zählte
Falk einige Pfennige zurück auf den Tisch. »In der Stube
ist noch Platz«, erwiderte er und riet ihnen mit einem
Seitenblick auf die Dominikaner, sich rechtzeitig ein Lager zu
reservieren. Die Vorstellung, mit den Mönchen in einem Raum
nächtigen zu müssen, brachte das Unwohlsein zurück,
das erneut mit überwältigender Macht von Falk
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