Die Heilerin des Sultans
stetig
sinkende Laune aufzuhellen, zuckte die Achseln und wies mit dem Kinn
auf den Kopf der Schlange. »So lange wird es nicht dauern. Ich
sehe mindestens drei Dutzend Gondeln und ebenso viele größere
Boote.« »Mag sein«, schoss Falk missmutig zurück.
»Aber ob wir uns das leisten können, wird sich noch
zeigen.« Unruhig nestelte er am Zügel seines Maultieres.
Wenn er doch nur endlich wieder im Sattel eines richtigen Pferdes
sitzen könnte! Zäh wie Pech verstrich die Zeit, und es war
beinahe Abend, als sie endlich dem Gondoliere den, Gott sei Dank
erschwinglichen, Fahrpreis in die Hand zählten. Dankbar darum,
im Laufe der Wartezeit die beiden Reittiere an einen Metzger
losgeworden zu sein, rammte Falk seinen leichten Reisesack zwischen
zwei Sitze und vergrub das Kinn in den Händen. Sobald sie ihr
Ziel erreicht hatten, würde er als erstes bei seinem Bancherius vorsprechen und sich dann zur Beichte in die Kirche begeben, um seine
Seele von den Sünden der Reise reinzuwaschen. Er tastete nach
dem Kruzifix an seinem Hals, das die Wegelagerer übersehen
hatten – genau wie den Siegelring, den er wegen des scheuernden
Zügels ebenfalls an der Kette befestigt hatte. Sein Onkel schien
einen schlechten Einfluss auf ihn zu haben. Nicht nur ein, sondern
zwei Diebstähle lasteten auf seinem Gewissen; und hatte er den
ersten noch mit dem nächtlichen Überfall rechtfertigen
können, gelang es ihm nicht, eine Ausrede für den zweiten
zu finden. Wie gewöhnliche Strauchdiebe hatten sie einen Mann um
seine Jagdbeute gebracht, und es half nicht, sich einzureden, dass
der Bauer die Tiere gewildert hatte. Er seufzte leise. Wann hatte
diese Reise, die als Abenteuer gedacht war, ihren Reiz verloren?,
fragte er sich, obwohl er die Antwort kannte. Bevor er sich in diese
düsteren Überlegungen hineinsteigern konnte, erreichte die
Gondel einen Canale, der sich in einer breiten Schleife zwischen den Inseln hindurchwand.
Wie
ein betrunkener Zwerg schaukelte das Boot an den langen, schlanken
Galeeren vorbei, auf denen der Senat die heiß begehrten
Luxusgüter transportierte, wie der Gondelführer sie
informierte. In einem Fort schnatterte der Mann in beinahe
fehlerfreiem Deutsch, wies hierhin und dorthin, sodass Falk mehr als
einmal befürchtete, sie könnten mit einem der anderen Kähne
kollidieren. Beladen mit Baumwolle aus dem syrischen Akkon, Goldfäden
aus Persien, chinesischer Seide, Elfenbein und Gewürzen, wurden
die Galeeren offenbar von Bogenschützen und anderen Bewaffneten
bewacht – anders als die schwerfälligen, plumpen Koggen,
auf denen Massenware wie Getreide, Salz oder Wein eingeführt
wurden. In der Nähe einer Kaimauer lag eines dieser bauchigen
Schiffe gekentert im Hafen, und der Gondoliere hatte alle Hände voll zu
tun, die im Wasser treibenden Fässer und Stoffballen zu
umschiffen. Staunend verfolgte Falk, wie die Mannschaft versuchte,
die Fracht zu bergen, während der Kapitän der Kogge eine
lautstarke Schimpftirade über ihre Köpfe hinwegschickte.
Mit unerwarteter Gewalt vertrieben die auf ihn einstürmenden
Eindrücke Falks schlechte Laune, und als sich nach einigen
Minuten der Blick auf den Markusplatz öffnete, hatte er all
seine Gewissensbisse vergessen. Einem gewaltigen Zeigefinger gleich
ragte der Campanile ,
dessen Schatten auf den schneeweiß in der Sonne leuchtenden
Dogenpalast fiel, in den blauen Himmel – weithin sichtbar für
jeden, der die Stadt von Süden her ansteuerte. Im Hintergrund
zog die Basilica San Marco eine Traube von Menschen an,
die offensichtlich zum Abendgebet zusammenströmten. Da Falk
diese weltberühmten Bauwerke aus den begeisterten Berichten
seines Ulmer Bancherius kannte, fiel es ihm nicht schwer, sie zu identifizieren. Doch es
waren die Pracht und vor allem die Ungeschütztheit des
Markusplatzes, die sein Staunen in ungeschminkte Bewunderung
umschlagen ließen. Im Gegensatz zu allen anderen Städten,
die er in seinem bisherigen Leben bereist hatte, war das Machtzentrum
Venedigs nicht durch sichtbare Wehrbauten gesichert. Eine Tatsache,
die jedem einzelnen Besucher klar machte, dass diese Stadt keine
Schutzwälle nötig hatte.
Viel
zu schnell wandte sich der Gondoliere nach Westen, um in den Canale
Grande einzutauchen, auf dem
der Wasserverkehr so dicht war, dass sie beinahe zum Stillstand
kamen. Hunderte von kleineren und größeren Booten mussten
sich einen Weg zwischen den Galeeren hindurch suchen, deren Ruder zum
Teil gefährlich weit ins Wasser
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