Die Heilerin des Sultans
immer sah
er den entsetzten Ausdruck auf dem Gesicht des Knaben vor sich, als
diesem klar geworden war, dass sein Leben im wahrsten Sinne des
Wortes auf Messers Schneide stand. Er rieb sich die stoppelige Wange,
die dringend einer Rasur bedurfte. Was konnte er nur unternehmen, um
das Vertrauen des Burschen zurückzugewinnen? Und ihn davon zu
überzeugen, dass sein Onkel nur sein Bestes wollte? Die
Doppeldeutigkeit dieser Worte malte ein zynisches Lächeln auf
sein Gesicht. Sein Bestes, in der Tat! Denn was war besser an dem
Jungen als sein Geld? Er beeilte sich, ein Husten vorzutäuschen,
das die verräterischen Spuren der Vorfreude von seinem Gesicht
wischte, und rückte sich im Sattel zurecht. Da seine Füße
den Boden streiften, wenn er sie nicht anwinkelte, plagten ihn immer
wieder Krämpfe in den Beinen; und auch jetzt holte ihn ein
Stechen in der Wade aus den Gedanken zurück. Wie hatte er nur so
dumm sein können, die Hinterlist des Meiers nicht zu
durchschauen? Hätte er an Stelle des Raubritters nicht genau das
Gleiche getan? Seine Nasenflügel blähten sich, als ihm
unvermittelt der Geruch von Feuer in die Nase stach. Augenblicklich
wachsam, reckte er den Hals und ließ argwöhnisch den Blick
schweifen. Eine halbe Meile vor ihnen, hinter einem zerrupft
wirkenden Tannenhain kräuselte sich schwarzer Rauch in den
Himmel. Doch als Otto instinktiv nach seinem Schwert greifen wollte,
fasste er ins Leere.
Er
schluckte die Verwünschung, die ihm auf der Zunge lag, und
langte stattdessen nach dem Dolch, den ihm die Wegelagerer gelassen
hatten. Sobald sie Venedig erreicht hatten, musste er unbedingt für
eine neue Waffe sorgen. Ohne sein Schwert fühlte er sich nackt
und so verwundbar wie eine Jungfrau auf dem Feld. Mit
zusammengekniffenen Augen versuchte er, auszumachen, ob es sich um
ein friedliches Feuer handelte; und als sie nach wenigen Minuten eine
Kreuzung erreichten, atmete er erleichtert auf. Vor einer
windschiefen Holzkate loderte ein Scheiterhaufen, über dem ein
findiger Jäger Kleinwild zum Räuchern aufgehängt
hatte. Von dem aus Westen wehenden Wind wurde der köstliche
Geruch heißen Fettes zu ihnen getragen. Doch von dem Besitzer
der Hütte war weit und breit keine Spur zu entdecken. Das musste
ein Wink des Schicksals sein! »Warte hier«, forderte er
Falk auf und rutschte vom Rücken des trägen Maultieres.
»Ich besorge uns etwas zu essen.« »Aber …«,
hub der Knabe an, doch Otto war bereits in dem tiefen Straßengraben
verschwunden. Geduckt pirschte er sich im Schutz des hohen Grases bis
dicht an den Waldrand heran, sah sich in alle Richtungen um und
rannte auf das Feuer zu. Als er die Hütte beinahe erreicht
hatte, spitzte er die Ohren und versuchte, das Knistern der Scheite
von anderen Geräuschen zu trennen. Kaum war er sich sicher, dass
außer ihm niemand in der Nähe war, richtete er sich zu
seiner vollen Größe auf und näherte sich dem
Scheiterhaufen. Dort angekommen, zuckte er zurück, als der Wind
ihm die Hitze ins Gesicht blies, aber der köstliche Duft des
Fleisches ließ ihn die Gefahr vergessen. Mit dem Fuß zog
er einen gegabelten Ast zu sich heran, hob diesen auf und stieß
die Stange über den Flammen aus ihrer einfachen Halterung –
sorgsam darauf bedacht, die Hasen und Eichhörnchen nicht ins
Feuer fallen zu lassen.
Er
wollte sich gerade nach dem Raubgut bücken, als ihn wie aus
heiterem Himmel ein solch gewaltiger Hieb zwischen den
Schulterblättern traf, dass er der Länge nach im Staub
landete. Während sich brennender Schmerz in seinem gesamten
Körper ausbreitete, prasselten weitere Schläge auf ihn ein,
von denen einer seinen Kopf lediglich um Haaresbreite verfehlte.
»Dieb, verdammter!«, zischte der Angreifer in seinem
Rücken, und nur mit Mühe und Not gelang es Otto, sich mit
einer Rolle zur Seite in Sicherheit zu bringen und ungeschickt
aufzurappeln. Die von Sand und Schmutz brennenden Augen erkannten
zuerst nur die schemenhaften Umrisse des Angreifers. Doch nachdem der
Katzensteiner ein paar Mal geblinzelt hatte, klärte sich sein
Blick, und er keuchte erschrocken auf. Der Prügel, den der
massige, beinahe quadratisch gebaute Bauer schwang, jagte ihm ein
kaltes Prickeln über den Rücken. Knorrig und mit
abgebrochenen Ästen gespickt, war dieser eine mindestens ebenso
tödliche Waffe wie ein Morgenstern. Wäre Ottos Wappenrock
nicht mit eisernen Platten gepanzert gewesen, hätte ihn schon
der erste Hieb für immer gefällt. Bevor
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