Die Heilerin des Sultans
ragten. Vorbei an zahllosen Palazzi, Kontoren
und Gasthäusern erreichten sie schließlich zur siebten
Stunde den Rialto – das Finanz- und Handelszentrum der Stadt,
das sich auf einer etwa dreihundert Schritt breiten Insel am Westufer
des Canale erhob.
Je tiefer sie in die Stadt vordrangen, desto schwerer stand die Hitze
über dem Wasser, und Falk erschrak heftig, als er aus einigen
Fenstern schwarze Tücher hängen sah. » Si «,
beantwortete der Gondoliere seine Frage. »In
letzter Zeit hat es wieder Pestfälle gegeben.« Falk
tauschte einen Blick mit Otto, dem ebenfalls anzusehen war, dass ihn
diese Nachricht beunruhigte. »Aber Ihr braucht Euch nicht zu
sorgen«, setzte der Venezianer mit einem wegwerfenden
Schulterzucken hinzu. »Der Senat sorgt dafür, dass die
Quarantäne eingehalten wird.« Na, dann kann ja nichts
passieren, dachte Falk ironisch und zog den Kopf ein, um dem Ruder
einer anderen Gondel auszuweichen. Geschickt manövrierte der
Venezianer den kleinen Kahn an einen Steg direkt am Fuße der
hölzernen Rialtobrücke, auf der sich zahllose Menschen
drängten. »Das ist die Halle der Händler«,
erklärte der Gondoliere und zeigte nach links. »Dort
befindet sich die öffentliche Waage. Das Fondaco
dei Tedeschi liegt
gegenüber.« Damit half er ihnen von Bord und stieß
augenblicklich vom Ufer ab, um der nächsten Gondel Platz zu
machen. Noch bevor Falk und Otto ihre leichten Reisebündel
geschultert hatten, wurden sie bereits vom Strom der Händler,
Aufseher und Boten mitgerissen und auf den Fuß der Brücke
zugedrängt, an dem ein heilloses Durcheinander herrschte.
Fernhandelskaufleute und Makler brüllten ebenso lautstark
durcheinander wie Kommissionsagenten und entnervt aber offiziell
wirkende Aufseher. Die beiden schräg aufeinander zulaufenden
Rampen der Brücke waren von Verkaufsbuden gesäumt, und egal
wohin man sah, stapelten sich Waren in Säcken, Fässern und
Kisten.
»Meine
Güte, wie soll ich in diesem Durcheinander Datini finden?«,
schrie Falk seinem Onkel ins Ohr, dem anzusehen war, dass er ähnlich
beeindruckt war wie sein Neffe. »Dort drüben, unter den
Bogengängen scheinen die Geldwechsler zu sitzen«,
erwiderte dieser, nachdem er sich kurz umgesehen hatte. »Die
sollten dir sagen können, wo du deinen Bancherius findest.« Während sie von Ellenbogen, Schultern und Händen
hin und her geschoben wurden, kämpften sich die beiden Männer
durch die Menschenmenge. Diese lichtete sich erst etwas, nachdem sie
die Brücke hinter sich gelassen hatten. Als sie sich den
hölzernen Tischen der Geldwechsler näherten, wurden sie von
einem Wachtrupp streng beäugt, der ihre Erscheinung von Kopf bis
Fuß abtastete. Verständlich, dachte Falk, da auf den
aufgebockten Holzbänken in offenen Schalen Münzen aus aller
Herren Länder blinkten. Alle paar Minuten huschte ein Bote mit
einer eisenbeschlagenen Kassette davon – vermutlich um größere
Beträge im Palast der Camerlenghi in Sicherheit zu bringen.
Falk erinnerte sich dumpf daran, dass Barbarigo ihm von diesen
Kassenhütern der Stadt vorgeschwärmt und bedauert hatte,
dass etwas Derartiges in Ulm nicht existierte. Jeder Geldtransfer
wurde von den Bancherii in einem dicken Journal notiert, in denen offenbar auch Bezahlungen
per Gutschrift vermerkt wurden. Als Falk endlich an der Reihe war,
trug er sein Anliegen in flüssigem Latein vor und war
erleichtert, als ihm einer der Männer in genauso gutem Deutsch
antwortete wie der Gondoliere. »Da habt Ihr Glück,
er war gerade hier.« Er wies nach Süden das Ufer entlang.
»Ihr könnt ihn kaum verfehlen. Folgt einfach dem roten Mantello. «
Als Falk in die angewiesene Richtung blickte, entdeckte er sofort
einen hochgewachsenen, in einen karmesinroten Umhang gekleideten
Mann, dessen Kopf eine ebenso farbenfrohe Kappe bedeckte. Ohne zu
zögern, gab er Otto zu verstehen, ihm zu folgen und eilte auf den Mann
zu, der dafür sorgen würde, dass er sich endlich nicht mehr
wie ein Bettler vorkam. Als er nach wenigen Minuten zu dem Bancherius aufgeschlossen hatte, richtete er sich unbewusst zu seiner vollen
Größe auf, bevor er ihn von der Seite ansprach.
»Seid
Ihr Francesco Datini?« Das Gesicht, das sich ihm zuwandte,
zeigte eine Mischung aus Argwohn und geschäftstüchtiger
Freundlichkeit, welche die grauen Augen allerdings nicht erreichte.
» Si, der
bin ich. Was kann ich für Euch tun?« Die scharfe Nase
zuckte, beinahe als wolle sie wittern, ob es sich bei seinem
Gegenüber um
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