Die Heilerin des Sultans
geschehen, nach dessen
Berührung sie sich so sehr gesehnt hatte? Wohin hatte sich die
Illusion der Vollkommenheit verflüchtigt? Sie schluckte ein
Seufzen und sammelte die Arzneien ein, die sie wieder mit ins
Hospital nehmen wollte. Dann folgte sie dem Wink der Tabibe, küsste erneut die
Fliesen und atmete erleichtert auf, als die Leibgarde am Ausgang des
Nordflügels kehrtmachte und die beiden Frauen alleine ließ.
»Ich
hoffe nur, die Wachen bringen nicht jeden Hekim in der Stadt um, weil sie
überall Gespenster sehen«, zischte die Ärztin,
nachdem sie sich versichert hatte, dass sie alleine waren. »Ich
weiß nicht, wie lange wir die Janitscharen noch mitversorgen
können.« Sie kämpfte erfolglos gegen ein Gähnen
an, das sich auf Sapphira übertrug. »Wenn wir nicht bald
Verstärkung bekommen, werde ich die Valide darum bitten müssen,
dich freizugeben«, fuhr sie ehrlich bekümmert fort. Doch
anstatt der Verdrossenheit, mit der Sapphira diese Nachricht noch vor
einer Woche aufgenommen hätte, durchströmte sie
Erleichterung – die sich bei dem Gedanken an die Sultansmutter
allerdings augenblicklich mit einem nagenden Schuldgefühl
vermischte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie an
den Vorsatz dachte, den sie gefasst aber nicht eingehalten hatte.
Eine Woge der Reue schlug über ihr zusammen. Wie so oft in
letzter Zeit gaukelte ihre Fantasie ihr Bilder der verstoßenen
Bülbül vor, täuschte sie mit der Vorstellung von
Schmutz, Elend und Leid. Warum hatte sie nur so lange damit gezögert,
das Missverständnis aufzuklären? Hätte sie der Valide sofort erklärt, was
geschehen war, dann würde das Schicksal der ehemaligen Gefährtin
jetzt nicht wie ein Gebirge auf ihrem Gewissen lasten. Sie wich dem
forschenden Blick der Ärztin aus, die – wie Sapphira
selbst – die Gabe besaß, die Gefühle anderer zu
erspüren. »Es handelt sich höchstens um ein paar
Wochen«, versprach diese, da sie annahm, der Kummer des
Mädchens hätte etwas mit dem Unterricht im Harem zu tun. »Dann kehrt
hoffentlich wieder Normalität ein.« Auch wenn Sapphira
nicht festmachen konnte warum, war sie sich sicher, dass die Tabibe sich da gewaltig irrte.
Kapitel 27
Venedig,
Frühsommer 1400
»Nun
komm schon«, beharrte Otto von Katzenstein und legte Falk
freundschaftlich den Arm um die Schultern. »Das Kind ist noch
nicht in den Brunnen gefallen! Du hast doch gehört, dass es
außer der Mude auch noch private Schiffszüge gibt.
Alles, was wir tun müssen, ist einen Kapitän zu finden, der
uns aufnimmt.« Er verzog aufmunternd das Gesicht. »Immerhin
habe ich uns schon einen Geleitbrief beschafft.« Als könne
dieses Schriftstück erreichen, was ihm nicht zu gelingen schien,
hob er es vor den Augen seines mürrischen Neffen in die Höhe.
»Ich hätte nicht gedacht, dass es so leicht sein würde«,
gab er zu; und in der Tat hatte es ihn erstaunt, wie bereitwillig der
osmanische Handelsvertreter, von dem er eben erst zurückgekehrt
war, die Urkunde ausgestellt hatte. »Wie schwer kann es dann
sein, sich auf einer Kogge einzuschiffen?« Falk, der sich auf
eines der durchgelegenen Betten zurückgezogen hatte, hob
verdrießlich den Kopf. Nachdem sie den Bancherius des
Jungen verlassen hatten, war er vor Otto her zu der deutschen
Faktorei gestürmt, um sich und seinem Onkel einen Schlafplatz
für die Nacht zu sichern; und noch immer brannte Zorn in dem
Katzensteiner Ritter, der nur schwer seinen Stolz geschluckt und dem
Jüngeren den Vortritt gelassen hatte. Aber der Bengel würde
dafür büßen, dass Otto sich vorgekommen war wie ein
Hund, der seinem Herrn hinterher schwänzelte! Wie gut, dass er
einen Grund gefunden hatte, seinen Neffen wenigstens für eine
Stunde mit seinem Selbstmitleid allein zu lassen! Er ballte die
Rechte zur Faust und presste sie gegen den Oberschenkel, während
seine Wangenmuskeln arbeiteten. Nur mühsam gelang es ihm, den
Drang zu beherrschen, dem Burschen eine Tracht Prügel zu
verabreichen. Doch gleichzeitig war er froh, dass der Knabe den
Miesepeter spielte, da er ihm mit seinen Launen derart auf die Nerven
fiel, dass sämtliche Bedenken im Keim erstickt wurden. »Ich
weiß nicht«, erwiderte Falk lahm und spielte mit der
Schnürung seiner Schecke. »Kann man diesen Leuten denn
vertrauen?« »Die einfachste Methode, das herauszufinden,
ist sich umzuhören«, beschied Otto gezwungen geduldig.
»Und das tut man am besten in den Tavernen und Gasthäusern.«
Mit diesen Worten zog er den
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